Sonntag, 29. Oktober 2017

Futtermengen und Energie

Bestimmt sind Ihnen auf den unzähligen Webseiten und in den Foren, die es für Themen rund um das Kaninchen gibt, auch „Futterlisten“ aufgefallen. Ein Merkmal in vielen ist die zusätzliche Beschreibung, wie oft und wie viel z. B. von einer bestimmten Pflanze, einem Gemüse oder von Samen gegeben werden dürfen/sollten. Diese Empfehlungen lauten dann ungefähr so: „selten“, „kleine Mengen“, „zusätzlich in geringen Mengen“, „sehr selten in geringen Mengen“, „wenig“, „täglich“ und so weiter und so fort. Dazu werden Begründungen geliefert, die sich in der Regel auf bestimmte Inhaltsstoffe beziehen, die eine restriktive Fütterung des entsprechenden Nahrungsmittels erforderlich machen sollen.

Ich frage mich bei solchen Angaben der Dosierung immer: was bedeutet eigentlich „wenig“? Für die Gurke findet man z. B. in einer Futterliste zur Mengenangabe „wenig, 1-2 Mal pro Woche“.  Klingt, als wäre sie ein sehr kritisches Futtermittel, was für mich aber nicht nachvollziehbar ist. Dagegen können viele Salate „gern täglich“ gegeben werden, weil sie kalorienarm wären. Dagegen wird dort z. B. für den Apfel festgestellt, dass nach einer „langsamen Anfütterung kleine Mengen gern täglich“ gegeben werden können. Er wäre gut verträglich und enthielte viele Mineralstoffe. Außerdem würde er „unterstützend bei Durchfall“ und „Verdauungsbeschwerden“ wirken. Bei Parasitenbefall sei er aber zu meiden. Seit Bugs Bunny ist die Mohrrübe auch in Deutschland irgendwie so fest mit Hasen/Kaninchen verbunden, dass man meinen könnte, Wildkaninchen würden den ganzen Tag nichts Anderes fressen. Sie sei „sehr gut verträglich“ und könne täglich gefüttert werden (ohne Mengenangabe). Sie wäre zudem kalorien-, vitamin- und mineralstoffreich und wirke unterstützend bei einer „Frischfutter-Anfütterung“. Bei „Appetitlosigkeit“ und bei „Darmparasitenbefall“ sei sie aber zu meiden.

In vielen Listen klingen die Begründungen so, als wären sie von gesundheitsbewussten Menschen für gesundheitsbewusste Menschen erstellt, denn mit Bedürfnissen für Kaninchen haben sie in der Form nichts zu tun.  Die Zähne, der Verdauungstrakt (Länge, innerer Aufbau, Blinddarmgröße) sowie eine ganz spezielle Darmflora unterscheiden das Kaninchen vom Menschen auf eine Weise, die nicht einmal annähernd einen Vergleich möglich machen können.

Noch verrückter wird es, wenn man in einem Forum, welches sich dem „Schutz“ von Kaninchen verschrieben hat, die Erklärung findet, dass Kaninchen von Wiesenfutter „dick“ oder „fett“ werden würden. Deswegen wäre man, nach kurzer „ad-libitum-Fütterung“, wieder zu einer Empfehlung für „Gemüse“ übergegangen. Gruslig.

Viele Empfehlungen auf Webseiten oder in Foren beziehen sich auf den „Kaloriengehalt“ von Futtermitteln. 1969 wurde in Deutschland die „Kalorie“ für den Energiegehalt durch die Maßeinheit „Joule“ ersetzt, wobei eine Kalorie 4,182 Joule entspricht. Damit wird die spezifische Energie eines Futters angegeben, die durch den Stoffwechsel im Körper eines Organismus theoretisch verfügbar gemacht werden kann. Es ist also ein Bruttowert. Diese Bruttoenergie resultiert vorrangig aus den, im Futter enthaltenen, Kohlenhydraten, Fetten und zum Teil aus Proteinen. 

Während des Stoffwechsel bzw. der Verdauung treten natürlich gewisse Verluste auf. Bei Pferden und Kaninchen geht man davon aus, dass der größte Energieverlust durch den Kot entsteht. Er beträgt ca. 35-40% der Bruttoenergie. Wenn also ein Futter eine Bruttoenergie von z. B. 10 Joule aufweisen würde, ständen dem Kaninchen tatsächlich nur 6-6,5 Joule an Energie zur Verfügung. Dieser Betrag wird „Verdauliche Energie, DE“ genannt (DE = engl. Digestible Energy). Die Verdauliche Energie DE kann man entweder direkt und somit relativ genau in sogenannten „Ausnutzungsversuchen“ an der jeweiligen Tierart oder theoretisch mit Hilfe einer Schätzgleichung ermitteln. Die Verdauliche Energie ist, wie der Name schon ausdrückt, von der Verdaulichkeit eines Futters abhängig, weil ja daraus der Energiebetrag resultiert. Im Kaninchenfutter ist die Haupteinflussgröße die „Rohfaser“ und natürlich spielt auch noch der Wassergehalt eine Rolle.

Wenn man also z. B. über „kalorienarm“ nachdenkt, muss man zwingend wissen, auf welchen Energiegehalt des Futters sich diese Aussage bezieht: auf die „Bruttoenergie“ oder auf die Energie, die dem Kaninchen tatsächlich zur Verfügung steht, also die „Verdauliche Energie“? Da die Bruttoenergie im Prinzip keine wirkliche Aussage liefern kann, beziehe ich mich im Folgenden nur auf die Verdauliche Energie DE. Werte dafür finden sich in vielen Fachbüchern oder Fachartikeln.

Von Fekete, 1993 wurden Bedarfswerte für Kaninchen für die Verdauliche Energie DE in Megajoule (MJ) ermittelt, die in Bild 1 dargestellt sind. Demnach hat ein Kaninchen mit einem Gewicht von 2 kg einen mittleren Bedarf von 0,7 MJ, ein Kaninchen mit 3 kg einen Bedarf von 1,0 MJ und ein Kaninchen mit 4 kg einen solchen von 1,2 MJ.

Bild 1: Bedarf an Verdaulicher Energie DE für Kaninchen in Abhängigkeit von der Körpermasse

Wie man Futtermengen mit Hilfe der „Verdaulichen Energie“ errechnet, wird in dem Buch „Das Kaninchen – Nahrung und Gesundheit“ mit Rechenbeispielen und Quellenangaben erklärt. Hier soll nur auf die eingegangen werden, die ich am Anfang des Beitrages in Zusammenhang mit den merkwürdigen Fütterungsempfehlungen als Beispiel angeführt hatte: Gurke, Mohrrübe, Salat und Apfel. Als Vergleich werden „Wiesengras“ und „Wiesenheu“ genutzt.In der folgenden Tabelle sind Futtermittel mit dem Trockenmassegehalt sowie dem Gehalt an Verdaulicher Energie MJ/kg uS (ursprüngliche Substanz) sowie der Menge aufgeführt, die ein Tier mit einer Körpermasse von 2,5 kg fressen müsste, um den täglichen Bedarf an Verdaulicher Energie DE von ca. 1,2 MJ zu erhalten.

Tabelle 1: Energiegehalte und Aufnahmemengen verschiedener Futtermittel für ein Kaninchen mit einer Körpermasse von 2,5 kg und einem Bedarf an verdaulicher Energie DE von 1,2 MJ/Tag











Man erkennt in Tabelle 1, dass die Alternativen (Salat, Salatgurke und Möhre) sehr wenig Trockensubstanz (also viel Wasser) enthalten. Entsprechend niedrig sind auch die Energiegehalte. Erstaunlich ist der hohe Eneriegehalt und somit die fast gleich große, nötige Aufnahme von Äpfeln, um den Energiebedarf zu erfüllen. Wenn man als Maß die natürliche Nahrung von Kaninchen nimmt (Gras, Wiese), so lässt sich feststellen, dass die Alternativen nicht geeignet wären, den Energiebedarf eines Kaninchen mit 2,5 kg Körpermasse zu erfüllen. Der Apfel fällt etwas aus dem Rahmen - warum das so ist, erkläre ich in einem anderen Artikel.

Zurück zu den Mengenangaben. Die Gurke sollte nur wenig „wenig, 1-2 Mal pro Woche“ gegeben werden, Salate dagegen gern täglich. Warum? Die Gurke ist absolut ungeeignet, einen Energiebedarf zu erfüllen - egal, in welchen Mengen. Das Kaninchen müsste fast das Doppelte von Gras davon fressen, um einen Energiebedarf zu decken. Gefährliche Inhaltsstoffe sind nicht bekannt, warum also wenig und nur 1-2 Mal pro Woche? Salat scheint nur grünes Wasser zu sein und darf gern täglich gegeben werden. Aber als was? Er enthält kaum Nährstoffe und Energie. Als was also soll der Salat dienen? Von der "kalorienreichen" Karotte müsste ein Kaninchen ca. 20% mehr fressen, um den gleichen Energiebedarf wie mit "Gras, Wiese" aufzunehmen. Das heißt, die natürliche, arttypische Nahrung ist deutlich "kalorienreicher"!

Aha, höre ich jetzt einige förmlich aufatmen. Sie denken jetzt: ich habe ein dickes Kaninchen, also bekommt das jetzt nur noch die Alternativen wie Gurke, Salat und Karotten, weil die so schön "kalorienarm" sind und dann nimmt es ab. Was für ein fataler Irrtum!

Mehr zum Thema gibt es im nächsten Beitrag ...

Sonntag, 22. Oktober 2017

Zwei Quadratmeter zum Glück ...

Jedes Internetforum, in dem es um Kaninchen geht, hat auch irgendwo stehen, dass es eine artgerechte Haltung und Fütterung dieser Tiere vorstellen würde. So, wie „Heu, Heu und nochmals Heu“ propagiert wird, ist an derselben Stelle in der Regel auch sinngemäß von „artgerecht, artgerecht und nochmals artgerecht“ die Rede. Tierschutz und Futtermittelindustrie – alle sind nur auf das Wohl des Kaninchens fixiert und preisen ihre Empfehlungen als „artgerecht“ für das Tier an.

Im Internet begegnete mir die Webseite einer privaten Tierschutzorganisation, die in einem Video in 60 Sekunden die generelle Frage nach artgerechter Haltung von Kaninchen und Zwergkaninchen beantwortet. Kostenlos. Einfach nur auf „Play“ klicken und nach 60 Sekunden ist die Sache erledigt. Fertig. Ganz großes Kino. Artgerecht. Der Interessierte sieht zwei Kaninchen auf einer erhöhten Plattform mit einer Sofadecke (oder ähnlichem), wobei erst das eine Tier das andere relativ hektisch putzt und dann (nach einem Schnitt) sich selbst. Sieht fast aus wie eine Übersprungshandlung, weil es da so exponiert hockt. In einer weiteren Einstellung sieht man eine Kunststoffschüssel, in der Gemüse und Salat adrett drapiert sind. Textlich wird diese Anordnung begleitet mit der Erklärung, dass frisches Gemüse und Obst, Kräuter, Äste und Zweige gesundes Futter wären. Witzig an dem Traurigem ist dabei, dass im Hintergrund auf der Tapete die tatsächlich gesunde Nahrung für Kaninchen abgebildet ist – nämlich Gras. Da kann es sich aber nur dran satt sehen, nicht fressen. Dann kommt noch eine Erklärung von nötigem Auslauf und Bewegung und gezeigt wird ein Kaninchen, welches in einem aufgestellten Gitter seine 2 Runden dreht. Ich wette, das rennt immer rechts im Kreis. Stereotyp halt. Wahrscheinlich wird das Gitter einmal am Tag aufgestellt und dann geht's los. Das alles in 60 Sekunden. Alles zusammen: Gemüse und Gitterhoppeln. Faszinierend und der Knaller dabei: es ist ARTGERECHT!!!

Diese Art von Tierschutz-Start-up haut einem in 60 Sekunden Fakten um die Ohren, die es in sich haben: „artgerecht“ mit Teppich, Gemüse, Grastapete und Gitterelementen in einer Wohnung. Wahnsinn. Ohne Studie als Beleg. Will auch keiner, die Leute glauben das auch so.

Und nun, meine lieben Leser, kommt die eigentliche Krönung: wissen Sie, wie lange es braucht, um diesen unglaublichen Unsinn zu Lasten der Tiere zu widerlegen? Jahre! Denn schlicht sagen, dass das einfach nur ein grauenvoller Quatsch ist, geht nicht. Für jede Sekunde dieses Videos müssen Sie mindestens 3 wissenschaftliche Studien mit Ergebnissen liefern, die denen der kritischen Experten vom Tierschutz mit ihren Erfahrungen standhalten müssen. Diese Studien dürfen aber keinesfalls von Wissenschaftlern kommen, die eventuell der Mast- oder Futtermittelindustrie nahestehen. Die sind moralisch gesehen vorbelastet und die Studien somit untauglich. Es gibt Tierschützer, die vereinen in ihrer Person wissenschaftliche Fachbereiche wie Veterinärmedizin, Tierpsychologie und –physiologie. Ohne Studium - einfach nur so, weil sie es „draufhaben“ und Erfahrungen vorweisen können. Die wird in Jahres- und Tierzahlen gemessen. Die Formel dafür lautet: "Jahr x Anzahl durchgeschleuster Tiere x unbekannter Faktor = Experte". Damit haben Sie also ein Bollwerk an fundierter Erfahrung vor sich, gegen das die Berliner Mauer eine Bordsteinkante war. Keine Chance.

Kennen Sie zum Beispiel die „2m²-Regel"?  Die besagt, dass ein Kaninchen mindestens 2m² Platz braucht, um artgerecht leben zu können. Es spielt keine Rolle, ob auf dieser Fläche ein Hermelinkaninchen mit 1,3 kg Körpergewicht oder ein Deutscher Riese mit 10 kg hocken soll. Nein – nur die 2m² sind wichtig und richtig. Weil Kaninchen zwingend mindestens zu zweit gehalten werden müssen, vergessen wir ganz schnell die 2m² und gehen also von 4m² aus. Darauf kommt man, wenn man 2 Tiere x 2m² rechnet. So weit, so easy. Ich habe in Internetforen verfolgen können, dass sich unvorsichtig äußernde Halter verbal dafür verkloppt wurden, weil sie für 2 Tiere nur 3,8m² vorweisen konnten. Das geht gar nicht. Ist nicht artgerecht, weil es eben 4m² sein müssen.

Die, die mich kennen, erwarten jetzt bestimmt von mir, dass ich die 2m²/Tier erklären kann. Ich schäme mich jetzt etwas, weil ich es nicht kann. Da ist nichts. Es gibt keine Untersuchung, Studie oder was auch immer, woraus sinnvoll hervorgehen würde, warum es 2m² pro Tier sein müssen, egal wie groß es ist. Das ist auch die einzige Größe in der Kaninchenhaltung (außer Heu und Gemüse in der Fütterung), für die ein Tierschützer KEINE Studie haben möchte. Es muss auch nicht hinterfragt, sondern einfach nur akzeptiert werden. Ohne wissenschaftliche Untersuchung. Das ist eben ein Erfahrungswert.

Wenn man von „artgerecht“ spricht, hantiert man mit einem Begriff, der nirgends definiert ist. Wortgemäß bezieht er sich auf eine Tierart, der man gerecht werden will, soll, kann oder muss. Er bezieht also das Wildkaninchen mit ein, weil beide – Haus- und das Wildkaninchen, zur gleichen Art gehören. Wenn man also behauptet, man hätte eine artgerechte Haltung von Hauskaninchen oder erklärt, welche Haltungsbedingungen denn artgerecht wären, muss man eigentlich wissen, was dem Wildkaninchen zur Verfügung steht und was es zu leisten vermag. Außerdem muss man arttypische Verhaltensweisen kennen.

Bild 1. Das Wildkaninchen vollführt Sprünge, die ca. 0,5 m hoch und rund 2 m weit sein können. Dafür muss es aber auch Anlauf nehmen und abbremsen ...


Bild 2: Gibt es "Diskussionen" innerhalb einer Kaninchengruppe, steht Wildkaninchen genügend Platz zum Ausweichen zur Verfügung. Wenn zwei Kaninchen wie auf dem Bild ein Problem miteinander haben, wären 4 m² höchstens geeignet, den Streit durch einen Kampf eskalieren zu lassen, weil das unterlegene Tiere im wahrsten Sinn des Wortes nicht weg kann. Nach 2 m wäre Schluss mit lustig ...


Bild 3: Das Bild zeigt ein junges Hauskaninchen, welches die Flucht in den sicheren Bereich des Reviers übt. Es springt von der Wiese auf die Terasse und sprintet von dort in eine Ecke, in der es tagsüber mit den Geschwistern viel Zeit verbringt. Die gesamte Strecke beträgt etwa 8 m.


Bild 4: Wer Kaninchen im Freilauf hält, weiß wie sich Kaninchen verhalten können. Der Übermut kennt manchmal keine Grenzen und äußert sich oft in spektakulären Aktionen. Wie viele Halter wissen, dass ihre Tier sogar zu einem Salto fähig wären?


Wer sich die Bilder ansieht wird mir sicher beipflichten, wenn ich feststelle, dass die "2-m²-Regel" im Zusammenhang mit "artgerecht" für das Kaninchen eigentlich nichts weiter als grober Unfug ist. 

Mit dieser Feststellung geht es mir gar nicht darum, jeden Halter zu verteufeln, der seine Tiere auf einer solchen Fläche hält, sondern darum, dass diese von einigen Tierscützern als "artgerecht" dargestellt wird. Das ist nicht der Fall. Es gibt wirklich Tierhalter, die auf Grund solcher "Informationen" mit dem Zollstock oder Maßband loslaufen und prüfen, ob sie eine artgerechte Haltung hätten. Liebe Leute, spart Euch die Mühe - eine artgerechte Haltung von Kaninchen ist theoretisch nicht möglich, egal, wie oft das behauptet wird. "Artgerecht" hört für ein Kaninchen genau dort auf, wo der Zaun anfängt. Wenn man Kaninchen im Freien hält, also auf einem Grundstück mit natürlichem Boden und Pflanzen, die Kaninchen als Nahrung dienen können. Umso weniger gilt es für eine Wohnungshaltung.

 Die 2, 4, 6 oder 8 m² stehen Kaninchen ja nicht vollständig für Aktivitäten wie Hoppeln, Rennen oder Springen zur Verfügung. Es gibt eine typische Verhaltensweise, die auf "Vermeiden" beruht. Die Tiere auf den oben gezeigten Bildern würde diese Aktionen auf einem eingeschränkten Territorium gar nicht ausführen, weil sie befürchten müssten, gegen ein Hindernis zu prallen.

Dazu ein einfaches Beispiel: die normale Schrittlänge eines Menschen beträgt ca. 0,5 m. Das heißt, 2 Schritte ergeben ungefähr einen Meter, 3 Schritte 1,5 Meter. Damit es eine kleine Herausforderung wird, ziehen Sie auf dem Boden eine Linie und im Abstand von 1,5 m eine zweite Linie. Sie stellen sich vor eine Linie und versuchen jetzt, diese 1,5 m zu überspringen, also über die zweite Linie zu gelangen. Nehmen Sie Anlauf oder probieren Sie es aus dem Stand. Ich denke mal, die meisten werden das Problem ganz leicht lösen. Wir sind ja schließlich alle fit wie Käsestullen. 

Bild 5: Ein Sprung über eine Strecke von 1,5 m sollte für den Menschen kein Problem darstellen.


Nachdem Sie sich nun freuen wie Bolle, dass Sie so weit springen können wie ein Kaninchen, wollen wir jetzt den Schwierigkeitsgrad erhöhen. Wir machen den gleichen Versuch noch einmal, nur dass jetzt hinter der zweiten, also der Ziellinie, eine Mauer steht. Sie können zwar vor der Mauer landen - aber die steht da.  

Bild 6: Der gleiche Versuch wie in Bild 5, aber mit einer Mauer mit etwas Abstand hinter der Strecke von 1,5 m.


Jetzt sind wir einmal ehrlich zu uns selbst: würden wir auch hier locker, lässig und mit der Kraft einer Käsestulle diese 1,5 m überspringen? Da steht doch eine Mauer, gegen die wir prallen könnten! Oder schaffen wir es, ohne uns weh zu tun? Könnte oder eher würde ein Kaninchen noch einen Salto drehen mit dem Wissen, dass gleich ein Hindernis kommt?

Ist das Kaninchen dumm oder sind wir Menschen es, die nicht erkennen, dass sich Kaninchen auf einer beschränkten Fläche auch nur eingeschränkt bewegen? Wie soll ein Kaninchen 1,5-2 Meter weit springen, wenn es genau weiß, dass es dahinter unweigerlich gegen ein Hindernis prallen würde, weil es den Schwung gar nicht abbremsen könnte? 

Es gibt neben den erfahrungsschwangeren Menschen privater Organisationen und Expertinnen auch einen Wissenschaftsbereich, der sich nur damit beschäftigt, das Verhalten von Menschen und von Tierarten zu erforschen. Er nennt sich "Ethologie", auf deutsch "Verhaltensforschung". Manchmal findet sich auch allgemein der Begriff von "Verhaltensbiologie". In dieser Disziplin werden u. a. bestimmte Verhaltensweisen in bestimmten Situationen erforscht. Theoretisch wäre das z. B. ein Kernthema für jemanden, der von sich behauptet, ein Spezialist für die "Vergesellschaftung" von Kaninchen zu sein. Ich habe aber sehr schnell gelernt, dass im Tierschutz diese wissenschaftliche Disziplin durch die der "Erfahrungsbiologie" ersetzt werden kann. An dieser ist das Schöne, dass bestimmte Dinge mit Nichts begründet werden müssen, außer eben mit Erfahrungen. Eigenen. Nicht nachvollziehbar und deshalb im Nebel des Mysteriösen, ja fast schon schamanenhaft oder Monty Roberts auf kaninisch. Aber ich schweife ab ... Naja, schnell noch den: es gibt z. B. ein sehr gutes Buch von Günter Tembrock mit dem Titel "Angst. Naturgeschichte eines psychobiologischen Phänomens". Sehr empfehlenswert als Ergänzung zu eigenen Erfahrungen.

Wo war ich ...? Ach so. Wir haben uns jetzt also ein Pflaster auf die Stirn geklebt, weil wir dann doch an die Mauer geknallt sind bei dem Versuch, cleverer als Kaninchen zu sein. Was ich mit dem Versuch ausdrücken wollte ist eigentlich folgendes: jedes Kaninchen kennt sein Revier bzw. Territorium sehr genau. Es wird ständig markiert, ebenso Hindernisse oder Punkte, die für das Kaninchen wichtig sind. Das bemerkt der Mensch nicht unbedingt oder interpretiert es vielleicht falsch. Das Kaninchen sieht relativ schlecht, vor allem das dreidimensionale Sehen (also das räumliche Sehen) ist nur in einem kleinen Bereich vor seiner Nase möglich. Das wird benötigt, um eben Entfernungen einschätzen zu können (auf einer Postkarte (=zweidimensional) ist z. B. die Entfernung von Gegenständen zueinander nur grob schätzbar). Der Grund ist schlicht der, dass die Augen beim Kaninchen seitlich am Kopf angeordnet sind. 

Wenn man also Biologie und Etholgie miteinander kombiniert erlangt man Kenntnis darüber, was für die verhaltensgerechte Haltung von Kaninchen nötig wäre. Der Witz ist, dass die sogar gefordert wird, wenn man ein Tier hält. Im Tierschutzgesetz steht nämlich nichts von "Erfahrungen". 

Bild 7: Auszug aus dem Tierschutzgesetz (Quelle)


Jeder Tierschützer wird natürlich im Brustton tiefster (eigener) Überzeugung sagen, dass er selbstverständlich über die erforderlichen Kenntnisse verfügt. Besonders natürlich über solche in Etymologie ... äh, Erotikologie ... (verdammt, wie hat der das noch mal genannt? Hat wer 'ne Studie?). Aber - und diese Frage stellt sich dann natürlich - wieso wird dann eine Haltung von Kaninchen auf einer Fläche, die nachweislich zu klein ist, "artgerecht" genannt? Ein Kaninchen, welches hinter Gitterelementen auf begrenztem Platz Runden abhoppelt, lebt "artgerecht"?

Es geht mir gar nicht darum, jede Haltung auf "artgerecht" abzuklopfen, sondern darum, dass einige Tierschützer etwas behaupten, was definitiv falsch ist. Sicher ist es gut, Kaninchen aus Käfighaltung zu retten und mehr Platz zu geben. Deshalb ist aber dieser neue, etwas größere Platz unter Umständen wie in dem Video gezeigt noch lange nicht "artgerecht". Es ist sozusagen eine Mogelpackung. Nur weil die meisten Tierschützer wie viele andere, einfache Halter ihre Tiere selbst nur in Wohnungen mit beschränktem Platzangebot unterbringen können, ist doch diese Haltung nicht "artgerecht". Die "Sicherheit" der Wohnung, die sie einer Freilandhaltung gegenüber stellen, soll dieses offensichtliche Problem lediglich kaschieren. Tierschützer sind immer gut - egal, was sie treiben. Ok, nicht alle Tierschützer. Es gibt natürlich auch solche, die das Problem sehr wohl erkennen. Die Masse der "Lautsprecher" ist aber leider größer (und aggressiver).

Nur noch am Rande und zum Abschluss möchte ich anmerken, dass der Auslöser für den Artikel eine Diskussion war, in der es um Harnwegserkrankungen ging. Fehlende Möglichkeiten für arttypische bzw. verhaltensgerechte Bewegungen können solche ebenfalls begünstigen. Dies ist der einfachen Tatsache geschuldet, dass sich bei fehlender Bewegung Sedimente in den Harnwegen und Organen absetzen können und dort die Steinbildung fördern. Zudem können Darmerkrankungen eine Folge mangelnder Bewegung sein, weil der Stoffwechsel träge und die Peristaltik (Eigenbewegungen des Darms) zu wenig angeregt werden.

Wie auch immer - ich möchte das Thema "Tierschutz" in einem Beitrag noch etwas vertiefen in der Hoffnung, ein Interesse für ein besseres Verständnis abseits eigener Erfahrungen auzulösen. Da geht es dann z. B. auch um die Frage, ob der Begriff "artgerecht" überhaupt noch zeitgerecht ist ...

Quellen:
  • Lehmann, M.; Wieser, R. (1984): Indikatoren für mangelnde Tiergerechtigkeit sowie Verhaltensstörungen bei Hauskaninchen. In: Aktuelle Arbeiten zur artgemäßen Tierhaltung. KTBL-Schrift, 307. S. 96-107
  • Tembrock, G. (2000): Angst. Naturgeschichte eines psychobiologischen Phänomens. Wissenschaftliche Buchgesellschaft (WBG). ISBN 978-3534140961
  • Tierschutzgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 18. Mai 2006 (BGBl. I S. 1206, 1313), das zuletzt durch Artikel 141 des Gesetzes vom 29. März 2017 (BGBl. I S. 626) geändert worden ist

Sonntag, 15. Oktober 2017

Eine kleine, persönliche Geschichte

Nach meinem Post zum Thema "Methionin" entspann sich eine kleine Diskussion um Harnwegserkrankungen. Ich finde es gut, wenn Leser meine Beiträge kritisch verfolgen und mir die Gelegenheit geben, bestimmte Dinge detaillierter zu beschreiben. In diesem Post möchte ich kurz darstellen, warum ich eigentlich so "klein in klein" verschiedene Dinge versuche zu erklären.

Der Grund ist aus heutiger Sicht vielleicht amüsant, aber damals war es das nicht. Ich beschäftige mich seit ca. 15 Jahren intensiver mit Kaninchen. Unsere ersten Kaninchen haben wir auf die Wiese gesetzt und zusätzlich Futter von Wiesen besorgt. Es schien uns völlig normal, Hauskaninchen wie Wildkaninchen zu behandeln, vor allem, was die Ernährung angeht. Das Bewegung an frischer Luft gesund ist, gilt ja auch nicht unbedingt nur für verschiedene Tierarten. Etwas später haben wir das Internet genutzt, um z. B. nach sinnvollen Trockenfuttern als Ergänzung zu suchen. Mit einigem Entsetzen mussten wir feststellen, dass nach Meinung vieler unsere Tiere völlig falsch gehalten und ernährt wurden. Demnach handelten wir zum Beispiel völlig verantwortungslos, weil unsere Tiere ihr Leben nicht im Schutz einer Wohnung verbrachten. Wir boten ihnen nicht das schöne Leben in trockener Luft auf glatten Laminat- oder Fliesenböden, wie es viele andere taten. Sie kamen nicht in den Genuss von stromführenden Kabeln, Tapete mit leckerem Kleister oder Chemikalien ausdünstende Teppiche und Möbel. Stattdessen mussten sie sich den Wind um die Nase wehen lassen, mit schmutzigen Füßen herumlaufen und sich Blätter von Comfrey aus dem Fell schneiden lassen, weil die sich so fürchterlich verhaken. Sie hatten weite Wege zurückzulegen, um verschiedene, offensichtlich gut schmeckende Pflanzen zu erreichen, die vor dem Verzehr nicht abgewaschen wurden. Müheselig mussten sie die Stängel von hochgewachsenen Topinambur durchnagen, um an die oberen frischen Blätter heranzukommen, weil die in den unteren Regionen schon verspeist waren.




Das gleiche machen Wildkaninchen übrigens mit Pflanzen, die an ihrem oberen Ende diese unsäglichen Früchte tragen, deren Verfütterung an Hauskaninchen nur hinter vorgehaltener Hand offenbart werden darf. Ich verrate das mal an dieser Stelle: Getreide. Die Tiere legen die Pflanzen einfach um und kommen auf diese Weise an die Körner heran. Aber eigentlich kann man den Fakt für Wildkaninchen ruhig erwähnen, weil er sowieso nicht geglaubt oder ignoriert wird. Während Wildkaninchen das wohl aus einem bestimmten Grund machen, wenn ihnen diese Nahrung zur Verfügung steht, muss man bei Hauskaninchen, die Getreide fressen davon ausgehen, dass sie offensichtlich völlig verblödet sind. Das ist natürlich genetisch bedingt. Es gibt beim Hauskaninchen wahrscheinlich so ein "Leckerlie-Gen", welches bei Züchtern mutiert ist und dafür sorgt, dass sie nicht mehr erkennen können, dass das eigentlich ein Leckerlie ist und kein Futter. Also schon Futter, aber eben als Leckerlie. Ist wie Schokolade bei Kleinkindern. Sagen zumindest besorgte Tierhalter. Kleinkinder hauen sich die Überraschungseier rein, dass das Plastik kracht und genauso geht es Hauskaninchen mit dem Gendefekt - sie wissen einfach nicht, was sie tun.

Im Winter wurde es noch schlimmer. Wenn Schnee lag, mussten sie bei lausiger Kälte auch noch körperlich aktiv werden, um an Grünes zu kommen. Ich vermute, dass es ein persönlicher Affront gegen mich war, dass sie stolz losmarschierten und Gras frei buddelten, statt das schöne warme, gewaschene und geschälte Gemüse zu fressen.



Immerhin ließ ich mich erweichen und schaufelte ihnen wenigsten Gassen in die Schneelandschaft.


Es kam aber noch schlimmer: uns erreichte die Kunde, dass Kaninchen eigentlich strunzdumm und ohne dem Menschen nicht in der Lage sind zu entscheiden, welche Nahrung ihnen gut tut und welche nicht (also noch ein, aber anderer Gendefekt). Sie sind sinnesmäßig quasi auf dem Level eines Kleinkindes, welches Unmengen von Salz in sich hineinschaufeln würde, wenn Mutti nicht aufpassen würde. Die würden auch ungeschälte Zitronen en gros essen, wenn man sie nicht davon abhielte. Genauso das Kaninchen: es macht nur Dummheiten und ist unfähig, sich selbst am Leben zu halten. Nachdem wir also lasen, dass es Giftpflanzen gibt, die das Kaninchen nicht kennt (es kann ja keine Tierschutzseiten im Internet lesen - auch so ein Nachteil), machten wir eine kritische Begehung des Grundstücks und stellten fest, dass sie sich jahrelang in einer Umgebung bewegten, die eigentlich hochtoxisch ist. Wir fanden z. B. Sumpfdotterblumen, Hahnenfuß und am allerallerallerschlimmsten: Eibe und Buchsbaum. Die standen da rum. Von uns völlig unbeachtet. Und was noch viel und am nochschlimmsten war: wir haben sie davon fressen sehen (macht es eigentlich Sinn, nach zwei Jahren noch den Pegel von Taxin im Blut bestimmen zu lassen?).


In der linken, oberen Bildecke des folgenden Bildes sieht man die Eibe und den Buchsbaum. Weiterhin sieht man ein gefährliches, domestiziertes Raubtier und davor ein ahnungsloses Kaninchen, welches im Gras schläft(!). Die eingezäunten Gewächse am rechten Bildrand sind ebenso ahnungslose Topinamburpflanzen. Aber wenigstens sind die geschützt - nämlich vor dem Zugriff des Kaninchens, das nur darauf wartet, das wir den Schutz entfernen.


Natürlich wollte und musste ich mich irgendwie rechtfertigen, warum wir unsere Tiere diesen Gefahren aussetzen und verwies darauf, dass genau wie der Mensch, dass Kaninchen in der Lage sei, bestimmte Stoffe am Geschmack zu erkennen und deshalb den Verzehr anpassen würde - wenn es denn die Möglichkeit dazu hat. Ich habe also diverse Quellen und Kenntnisse eines naturwissenschaftliches Faches genutzt, welches in manchen Bundesländern nicht mehr so streng gelehrt wird, wie es früher mal üblich war und deshalb ... aber das ist ein anderes Thema. Ich habe also etwas getan, was gemeinüblich in bestimmten Kreisen "Verharmlosung" genannt wird: ich habe die letale Dosis des Taxins der Eibe auf die Menge der betreffenden Pflanze umgerechnet, die ein Tier aufnehmen müsste, um tot umzufallen. Natürlich muss es diese Menge auch in Nullkommanix (Nullkommanix = Zeitdauer = Null Sekunden ohne Kommastellen) aufnehmen.


Irgendwann kam der Punkt, an dem ich mich entschloss, all die kursierenden Angaben über das Kaninchen darauf zu prüfen, ob sie Sinn machen oder nicht. Zum Einen hatten wir unsere eigenen Kaninchen, die trotz der ganzen "Vergehen" unsererseits quietschfidel und pumperlgesund waren, zum Anderen gab und gibt es Wildkaninchen in unserer Umgebung, die ich beobachte. Naja, und natürlich wurden über viele Jahre "seriöse" Quellen, auch Fachliteratur genannt, gelesen. Außerdem verabschiedete ich mich von Internetforen.

Jedes Forum im Internet ist ein kleiner Mikrokosmos mit seinen Mitgliedern, Regeln und Meinungen. Ein anderer, eher bösartiger Begriff dafür ist "Filterblase". Die Qualität der Beiträge ist stark abhängig vom Wissen der Schreibenden, den Forenbetreibern, eventuell vorherrschenden Ideologien und der Toleranz gegenüber abweichenden Beiträgen bzw. Fakten. Neben einem Rassekaninchenforum gehören die allermeisten Foren, die ich zum Thema "Kaninchen" kenne, Tierschutzorganisationen bzw. -vereinen. Darunter sind einige, die sehr extrem auf Informationen reagieren, die nicht ihrem Weltbild entsprechen. Auffällig ist bei diesen, dass das Fachwissen über Kaninchen quasi gleich Null ist und die Meinungsführerschaft bei der Blogbetreiberin und wenigen aus ihrem Gefolge liegt, welche die Inhalte von Beiträgen kontrollieren. Ich schreibe nicht aus Böswilligkeit von Forenbetreiberin, weil mir tatsächlich nicht ein Forum im (Kaninchen-)Tierschutzbereich bekannt ist, welches einem Mann gehört. Hier sollte also unbedingt eine Quote her.

Irgendwann fand ich zwar ein kleines, aber feines Forum, in dem absolut ideologiefrei diskutiert werden konnte. Es war auch nicht ausschließlich auf Kaninchen fixiert, sondern auf viele Kleinsäuger, was für mich persönlich sehr interessant war. Letztlich nervte aber auch dort, dass ich in Diskussionen Fakten anführte, die aus wissenschaftlichen Arbeiten stammen. Diesen ist immer schwer zu widersprechen, wenn man Recht behalten möchte. Also habe ich auch dort vor ca. 1 Jahr meine Zelte abgebrochen. Genutzt habe ich die Zeit für die Fertigstellung eines Buches und dem weiteren Studium von Fachliteratur, welche sich im Laufe der Jahre angesammelt hatte.

Studien, Fakten, Zahlen, Details - es ist für mich immer wieder erstaunlich, wie darauf reagiert wird.

In einem Forum entwickelt sich die Diskussion häufig auf folgende Weise:
A: Ich habe jetzt zwar nicht alles gelesen, aber ich habe gehört, dass ... (beliebige These einsetzen).
B: Also das stimmt so nicht, weil es so und so ist (Widerspruch zur These)
A: Es ist aber so. Darüber gibt es auch Studien, die ich gerade nicht zur Hand habe.
B. Wie gesagt, es stimmt nicht.
A: Das musst Du jetzt aber belegen. Gib mir bitte eine Studie.
B. Hier ist die Studie.
A: (3 Sekunden später) Das ist für mich nicht aussagekräftig, weil es dafür auch andere Ergebnisse gibt, die ich gerade nicht zur Hand habe
B: Ja, aber es gibt noch weitere Studien (hier, hier), die das bekräftigen, was ich empfehle. Sonst könnten die Tiere krank werden.
A: Aha, Du behauptest jetzt also, ich mache meine Tiere krank!
B: (denkt sich: Ja - schreibt aber:) Nein, aber es gibt wissenschaftliche Belege dafür, dass das, was Du empfiehlst, Tiere krank machen kann.
A: Unerhört. Ich bin im Tierschutz tätig, nehme Tiere auf, die kurz vorm Sterben waren, vermittle in Pflegestellen und bin selber eine, habe Erfahrung aus x Jahren Tierhaltung und jetzt kommst Du und erklärst mir, dass alles falsch wäre?
B: Nein, ich behaupte nur, dass Deine These falsch ist.
A: Jaja, und deshalb lasse ich meine Tiere sterben. Wenn die krank sind, dann sind die Züchter daran Schuld! Moderation, bitte einschreiten!
Moderation: An B: ich kenne A schon sehr lange und weiß, dass sie ihre Tiere gut behandelt. Bitte mäßige Dich.
B: Ich verweise doch nur auf Studienergebnisse. 
A: Also ich breche die Diskussion an dieser Stelle ab. Unerhört!
B: (schreibt nichts mehr und denkt sich: Und Tschüss...)
A: (denkt: siehste, der schreibt nichts mehr, habe ich doch Recht gehabt)
Kaninchen von A: Mist, hätte doch B Recht bekommen, dann würde es mir jetzt besser gehen ...

Vor einigen Jahren hatte ich eine Diskussion in einem Forum, welches von einer angehenden Biologin(!) geleitet wurde. Dort erklärte ich, dass Kaninchen "Folivore", also "Blattfresser" sind und deshalb ihre Nahrung entsprechend sein sollte. Darauf antwortete mir die Studierende, dass sie sich gemeinsam mit Kommilitonen auf die Schenkel geklopft hätten vor Lachen über den Unsinn, den ich erzählen würde. Damals dachte ich bei mir: ohje, armes Deutschland - das ist dein wissenschaftlicher Nachwuchs. Abgesehen von einer offensichtlich fehlenden, intakten Kinderstube sehen sich Studenten heutzutage offenbar nicht einmal mehr in der Lage, ein unbekanntes Fremdwort zu googeln (früher mussten wir erst in die Bücherei gehen und in  Wörterbüchern nachschlagen). These, Antithese und darüber mit Argumenten diskutieren ist im Tierschutz nur schwer möglich. Deshalb ist er auch mit Menschen durchsetzt, die kein Fachwissen haben. Die allermeisten "Tierschützer" kennen nicht einmal das Tierschutzgesetz, Kommentare dazu oder Grundlagenwerke wie die von Sambraus & Steiger (1997) oder Methling, et al. (2002). Sie nennen sich "Tierschützer" (ein nicht geschützter Begriff) und sind der Meinung, dass ihnen damit alles Gute und Richtige der Welt in den Schoß gefallen ist. Als eingetragener Verein wird ihnen eine Wichtigkeit verliehen, die nur blendet. Wohlgemerkt: nicht jeder Verein ist mit meiner Kritik gemeint, aber dass man mit mir lieber nur "hintenrum" Kontakt und Beratung haben möchte, spricht schon Bände. Ideologie halt.

Mittlerweile berate ich angehende Juristen, studierende Tierärzte, die mit diesen Tieren keinen persönlichen Kontakt haben (können), Tierschützer in Haltungs- und Ernährungsfragen und natürlich viele, viele Halter, die verzweifelt sind und mich erst dann kontaktieren, wenn kein Tierarzt oder "Tierschützer" mehr helfen konnte. 

Wie auch immer: zurück zur Frage, warum ich vieles so detailliert erkläre:
  • es interessiert mich persönlich,
  • bestimmte Sachverhalte erschließen sich erst, wenn man Hintergründe (Fakten, Details) kennt
  • ich kann damit Haltern helfen, deren kranke Tiere als austherapiert gelten,
  • weil Tierhalter erst auf Grund meiner Erklärungen bestimmte Dinge ändern, da ihnen die Hintergründe (Details) nicht bekannt waren,
  • weil ich damit also Tieren (indirekt) helfen kann,
  • weil ich unsinnige Empfehlungen widerlegen kann, ohne eine Person zu treffen (es sei denn, ich widerlege die Aussage einer Person),
  • weil ich hoffe, dass es Tierhalter zumindest zum Nachdenken anregt.
  • weil ich Studierenden (wie auch anderen) zeigen möchte, dass es nicht reicht, nur Abstrakte zu lesen
  • das es sich immer lohnt, bestimmte Dinge, die einem vom "Bauchgefühl" her nicht passen, kritisch zu hinterfragen 
  • weil mir z. B. kein Halter glaubt, dass Heu für die Ernährung von Kaninchen suboptimal ist. Erst wenn ich mit Fakten (Details) zeige was Heu eigentlich ist, wird mir geglaubt (oder es wird ignoriert)
An dieser Stelle möchte ich auch noch einmal ganz deutlich machen, das, egal was oder wie ich es schreibe, niemanden persönlich treffen möchte. Wo es Licht gibt, ist aber auch der Schatten nicht weit. Es geht mir immer nur um das Tier des Halters, also das Kaninchen. Das sehe ich vor mir und versuche mir vorzustellen, wie es sich im Moment mit der beschriebenen Haltung und Fütterung fühlen mag.

In diesem Sinne wünsche ich allen Kaninchen diesen Welt immer das Beste und ihren Haltern die Vernunft und Kraft, für sie in einer Weise zu sorgen, die sie glücklich macht.


Quellen:
  • Methling,W.; Unshelm J. (2002): Umwelt- und tiergerechte Haltung von Nutz-, Heim- und Begleittieren. ISBN: 9783826331398 
  • Sambraus, H. H.; Steiger, A. (1997): Das Buch vom Tierschutz. Stuttgart: Enke. ISBN: 343229431X  
  • Tierschutzgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 18. Mai 2006 (BGBl. I S. 1206, 1313), das zuletzt durch Artikel 141 des Gesetzes vom 29. März 2017 (BGBl. I S. 626) geändert worden ist

Sonntag, 8. Oktober 2017

Methionin, eine essentielle Aminosäure


Das Eiweiß in der Nahrung wird auch als "Protein" bezeichnet. Dieses Protein setzt sich aus verschiedenen Aminosäuren zusammen, die die "Wertigkeit" des Proteins bestimmen. Das heißt, dass die Zusammensetzung des Proteins darüber entscheidet, wie wertvoll es für den Körper ist. 

Einige der Aminosäuren werden als "essentiell" bezeichnet. Dieser Begriff wird normalerweise für Nährstoffe benutzt, die lebenswichtig sind, aber vom Körper nicht selbst synthetisiert, also hergestellt werden können. Sie müssen demzufolge mit der Nahrung aufgenommen werden. Beim Kaninchen ist die Trennung von essentiell und nicht-essentiell unscharf, weil im Blinddarm Bakterien siedeln, die bis zu einem bestimmten Maß Aminosäuren liefern können, die als essentiell gelten. Nach Spreadbury & Davidson, (1978) kann z. B. ein Betrag von weniger als 10% Methionin von Darmbakterien über den aufgenommenen Blinddarmkot geliefert werden, was aber als zu wenig angesehen wird, wenn ein Futter defizitär an dieser Aminosäure ist.

Bei Methionin handelt es sich um eine schwefelhaltige, essentielle Aminosäure, die für den Körper sehr wichtig ist. In kommerziellen Futtermitteln (Pellets) wird sie häufig zugesetzt. Wenn sie in ausreichender Menge vorliegt, können aus ihr die Aminosäuren Cystin und Tyrosin synthetisiert werden. Durch die Übertragung von Methylgruppen trägt es zu Entgiftungsvorgängen in der Leber bei. Da Methionin Wasserstoffionen zur Verfügung stellt, ist es wichtig für die Regulierung des Säure-Basen-Gleichgewichtes. Letztlich wird es für die Aufnahme und den Transport von Selen im Körper benötigt.

Cystin findet sich unter anderem in den Zellen des Immunsystems. Dessen Vorstufe L-Cystein wird aus Methionin synthetisiert. Cystein unterstützt das Reifen von Lymphozyten und aktiviert Zellen, die für die Immunabwehr wichtig sind. Deshalb spielt Methionin nicht nur an sich eine wichtige Rolle, sondern stellt auch einen limitierenden Faktor für die Synthese von Cystein dar. Die beiden Aminosäuren werden häufig als Summe mit „Met + Cys“ angegeben.

Kaninchen sind in der Lage, das Aminosäuremuster in der Nahrung zu erkennen und die Aufnahme entsprechend anzupassen. In einem Versuch wurde Kaninchen z. B. ein pelletiertes Futter angeboten, in dem schwefelhaltige Aminosäuren oder Lysin fehlten. Diese Aminosäuren wurden aber im Wasser zusätzlich bereitgestellt. Die jungen Kaninchen wählten das Wasser in dem Maß, wie die Aminosäuren im Futter fehlten und glichen auf diese Weise ein Wachstumsdefizit im Vergleich zur Kontrollgruppe aus, die ein Futter mit einem ausgeglichenen Aminosäuregehalt erhielt (Colin, et al., 1975).

Seit etwa 40 Jahren gewinnt im Zusammenhang mit Calcium, Phosphor und Magnesium eine Erkrankung immer mehr an Bedeutung, die als "Urolithiasis" bezeichnet wird. Diese äußert sich in Ablagerungen von Calciumsalzen in der Haut oder Körperorganen. Neben Ablagerungen in Geweben und Organen kann es zur Ausbildung von Kristallen kommen, welche zu Steinen wachsen und sich bei Kaninchen vor allem in den harnableitenden Organen und Gefäßen finden.

In der älteren Literatur wie z. B. von (Felden, 1910), (Saunders, 1920), (Schneider, 1930), (Joppich, 1946), (Weißenberger, 1960) und (Dorn, 1973) finden sich kaum Hinweise auf das Vorkommen von Harnsteinen. Lediglich in dem Werk „Pathologie der Laboratoriumstiere“ von Cohrs, et al., (1958) wurde über das Vorkommen von Kalkablagerungen in den Kaninchennieren berichtet. Diese seien besonders in den Epithelien der Niere nachweisbar. Dabei würde es sich jedoch mehr um eine nachträgliche Loslösung verkalkter Epithelzellen handeln, die besonders umfangreich in zwei Fällen spontaner „Glomerulonephritis“ auftraten. Damit wird eine spontane, nicht-bakterielle Entzündung von Nierengewebe beschrieben, speziell der kapillaren Gefäßknäuel. Für Harnblasensteine lag zu diesem Zeitpunkt nur eine Beobachtung bei einem einzigen Kaninchen vor. Erst in den letzten 40 Jahren kam es in Verbindung mit der verstärkten Heimtierhaltung zu einem immer häufigeren Auftreten von Harnkonkrementen.

Nach (Dulce, et al., 1963) wird die Löslichkeit von Calciumphosphaten hauptsächlich durch den pH-Wert des Harnes bestimmt, außerdem durch die Calcium- und Phosphatausscheidung. Bei einem pH-Wert < 6,5 ist Calciumphosphat löslich, ab einem pH-Wert > 6,5 nimmt die Unlöslichkeit der Calciumphosphate zu.

Carbonate sind schwer löslich. Da es sich um basische Salze handelt, werden die Carbonate von Säuren unter Bildung von CO₂ zersetzt. Aus diesem Grund wird z. B. die Aminosäure „Methionin“ medizinisch zur Vorbeugung und Erhöhung der Löslichkeit von Phosphat-Nierensteinen genutzt. Sie säuert den Harn an, weil sie in der Niere zu Sulfaten (SO₄²⁻, HSO₄⁻) und Protonen metabolisiert wird (Hesse, et al., 1997). (Paulus, 2010) wies in ihrer Dissertation für eine Konstellation eine Ansäuerung des Harns durch Methionin bei Kaninchen nach: das Angebot eines Mischfutters mit höherem Proteingehalt und einer Methionin-Zulage hatte einen Effekt auf den Harn-pH-Wert (Ø pH 8,61). Dieser unterschied sich signifikant von den Werten, die nach ausschließlicher Kraftfuttergabe gemessen wurden. Bei der Fütterung der proteinreduzierten Variante des Mischfutters blieb dieser Effekt jedoch aus (Ø pH 8,90). Bei ausschließlicher Fütterung von Heu in zwei Versuchsdurchgängen betrug der pH-Wert des Harns 8,31 bzw. 8,40. Die Futteraufnahme bei ausschließlichem Angebot von Heu blieb allerdings stets unter der maximal möglichen TS-Aufnahmekapazität (Ø 18,4 g uS/kg KM*). Eine dauerhafte Fütterung ausschließlich mit Heu wurde wegen der geringen Verdaulichkeit und dem niedrigen Gehalt einiger Mineralstoffe und Spurenelemente als „nicht ratsam“ empfohlen.

Tabelle 1: pH-Wert des Harns mit und ohne Methionin-Zulage im Futter, aus (Paulus, 2010)






In dem folgenden Diagramm sind beispielhaft die Gehalte von Methionin und Cystin in verschiedenen Futtermitteln dargestellt.

Bild 1: Gehalt von Methionin in verschiedenen, möglichen Futtermitteln; in g/kg Trockensubstanz
Aus den beispielhaften Werten des Diagramms in Bild 1 wird deutlich, das Gemüse, Salat (Feldsalat) und Obst (Apfel) arm an den schwefelhaltigen Aminosäuren Methionin und Cystin sind. Selbst eine angenommene Ergänzung durch den Blinddarmkot von 10% könnte das Defizit zum theoretischen Bedarf und schon gar nicht im Vergleich zu Wiesenpflanzen (Weide) bzw. -kräutern (Löwenzahn, Breitwegerich) ausgleichen. Somit liegt auf der Hand, dass auch der Urin von Kaninchen etwas weniger basisch ist, die mit "Wiese" ernährt werden als von solchen, die mit Alternativen wie  Gemüse, Salat oder Obst versorgt werden. Gemeinsam mit der Ascorbinsäure (Vit.C) liegen somit zwei Faktoren vor, denen in der Ernährung zwar wenig Beachtung geschenkt wird, die aber durchaus das Auftreten von Harnwegserkrankungen, insbesondere der Bildung von Harnsteinen bei Hauskaninchen beeinflussen, die alternativ ernährt werden.

*uS/kg KM: ursprüngliche Substanz/kg Körpermasse

Der Beitrag enthält Auszüge aus dem Buch "Das Kaninchen - Nahrung und Gesundheit".

Quellen:
  • Colin, M., Lebas, F. und Delaveau, A. 1975. Influence d’un apport de lysine dans l’aliment solide ou dans l’eau de boisson sur les performances de croissance du lapin. Ann. Zootech. 1975, 24, S. 315-321.
  • Dorn, F. K. 1973. Rassekaninchenzucht: ein Handbuch für Züchter, Zuchtrichter und Studierende. 3., überarb. Aufl. Melsungen : Neumann-Neudamm
  • Dulce, H.-J.; Taupitz, E. 1963. Die Löslichkeitsbedingungen von Calciumsalzen im Harnn von Patienten mit Urolithiasis. Z. klin. Chem. 1963, Bd. 1, 2, S. 59-64
  • Felden, E. 1910. Die Kaninchenzucht. 2. Stuttgart : Ulmer
  • Hesse, A., et al. 1997. Senkung des Risikos der Phosphatsteinbildung durch L-Methionin. Der Urologe B. 1997, Bd. 37, 5, S. 489-492
  • Joppich, F. 1946. Kaninchen. Zucht und Haltung. Berlin : Deutscher Zentralverlag GmbH
  • Paulus, C. 2010. Fütterungseinflüsse auf die Ammoniakfreisetzung aus den Exkrementen von Zwergkaninchen. Hannover : Tierärztliche Hochschule. Dissertation
  • Saunders, C. G. 1920. Rabbit and cat diseases. Chicago : American Veterinary Publishing Co.
  • Schneider, J. 1930. Nutzbringende Kaninchenzucht. Leipzig : Hachmeister & Thal
  • Spreadbury, D.; Davidson, J. (1978): A study of the need for fibre by the growing New Zealand white rabbit. Journal of the Science of Food and Agriculture. Volume 29, Issue 7. 640-648.
  • Weißenberger, K. 1960. Krankheiten des Kaninchens. . Minden/Westf. : Albrecht Philler Verlag

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