Sonntag, 26. November 2017

Futtermengen Teil 4

Je nach Trockenmassegehalt (und Energiegehalt) der Nahrung frisst ein Kaninchen entsprechende Gesamtmengen an Futter. Mit anderen Worten: je mehr Wasser ein Futter enthält, um so größer ist die Futtermenge und somit auch das Volumen der Nahrung. Man kann sich das relativ leicht ausrechnen. Ein Kaninchen frisst 3-4% Trockenmasse, bezogen auf sein Körpergewicht. Der Einfachheit halber gehe ich in den folgenden Darstellungen von 4% aus. In der Tabelle 1 sind, ausgehend von den 4%, die theoretischen, zu fressenden Trockensubstanzmengen sowie die Mengen für ein Futter mit 20 % Trockensubstanz (Gemüse, Wiese) und für 90% Trockensubstanz (Trockenfutter, Heu) für verschieden schwere Kaninchen aufgeführt. In der äußersten rechten Spalte habe ich der Vollständigkeit halber noch einmal die Empfehlungen für die Verdauliche Energie DE angegeben. 

Tabelle 1: Trockensubstanz und Futtermengen

 

Mit den Anhaltswerten in Tabelle 1 hat man einen ungefähren Rahmen dessen, was ein Kaninchen frisst und welcher Energiebedarf besteht.

Man erkennt aus den Werten in der Tabelle 1, dass ein Kaninchen mit wasserhaltiger Nahrung (hier mit 80% angenommen) im Vergleich zu Trockenfutter (10% Wasser) etwa die 4,5fache Menge fressen muss. Damit haben wir so ganz nebenher einen eklatanten Nachteil des Trockenfutters bzw. von Heu festgestellt, der aber an dieser Stelle erst einmal keine Rolle spielen soll.
 
Bild 1: Volumen von Nahrungsmitteln mit gleichem Trockensubstanzgehalt, aber unterschiedlicher Wassermenge


Das "Rohprotein" beschreibt eine eine Nährstoffgruppe. Es setzt sich u. a. aus verschiedenen Aminosäuren zusammen, von denen einige essentiell sind (siehe auch diesen Beitrag zu Methionin und Cystin).

In der folgenden Tabelle sind prozentuale Differenzen der Gehalte von Rohprotein, den Aminosäuren Methionin + Cystin sowie Tryptophan zu derzeit aktuellen Empfehlungen dargestellt. Die rot und mit einem Minus gekennzeichneten Gehalte stellen das prozentuale Defizit dar, schwarz Gehalte, die über der empfohlenen Menge liegen.

Tabelle 1:  Differenzen der Gehalte in % von Rohprotein (Rp), Methionin + Cystin (Met+Cys) und Tryptophan (Tryp) zu empfohlenen Gehalten; für ein Kaninchen mit 2,5 kg Körpergewicht und einer aufgenommenen Trockensubstanzmenge von 120 g


Beispielhaft sei die erste Zeile in der Tabelle betrachtet - der Kohlrabi: Das Rohprotein liegt ca. 20% über dem empfohlenen Gehalt. Daraus würde man also entnehmen, dass der Rohproteingehalt des Kohlrabis "normgerecht" ist und somit den Bedarf des Kaninchens erfüllen kann. Etwas anders sieht es dann aber mit den Aminosäuren aus, welche die Wertigkeit des Proteins bestimmen. Der Gehalt von Methionin + Cystin liegt um 50% unter der Empfehlung und der von Tryptophan um 5%.

Die Zeile "Mittelwert" enthält den arithmetischen Mittelwert der darüber stehenden "Futtermittel" einschließlich dem Apfel. Man erkennt, dass das größte Defizit von Gemüse wie auch Apfel als Obst-Vertreter bei den essentiellen, schwefelhaltigen Aminosäuren liegt. Was das bedeuten kann, wurde ebenfalls im Beitrag  zu Methionin und Cystin erläutert. Das wurde, wie aus einer Diskussion deutlich wurde, etwas missverstanden, denn die Intention liegt in der Vorbeugung von Harnwegeerkrankungen (Steine) und nicht in deren Behandlung. Ein Kaninchen, welches rund um die Uhr optimal mit diesen Aminosäuren versorgt wird, dürfte insgesamt weniger anfällig für Harnwegserkrankungen sein, weil der pH-Wert durch die natürliche, ansäuernde Wirkung der schwefelhaltigen Aminosäuren etwas gedrückt wird, also weniger stark basisch ist. Der pH-Wert des Urins hat, neben anderen Faktoren, einen starken Einfluss auf die Steinbildung in den Harnwegen. Je niedriger, umso geringer ist die Gefahr, dass sich unlösliche Calciumphosphatverbindungen bilden.

Protein bzw. Eiweiß besteht aus den Elementen Kohlenstoff (C), Wasserstoff (H), Sauerstoff (O), Stickstoff (N) sowie Schwefel (S) und etwas Phosphor (P). In der Weende-Analyse wird kein Proteinwert, sondern ein Stickstoffgehalt ermittelt. Da dieser im Protein etwa 16% beträgt, wird in der Futtermittelanalyse auf den Gesamteiweißgehalt geschlossen, indem man den Stickstoffgehalt mit 6,25 multipliziert (100:16 = 6,25). Das "Rohprotein" in der Deklaration oder in den Futterwerttabellen ist also kein Analysewert, sondern ein theoretischer, errechneter.

Das Protein ist aus Aminosäuren zusammengesetzt. Ihr Gehalt und Verhältnis bestimmen, was das Gesamtprotein eigentlich wert ist, dem Organismus also nutzt. Es gibt Aminosäuren, die essentiell, semi-essentiell und nicht essentiell sind. Essentiell heißt, sie sind lebensnotwendig und können im Körper nicht synthetisiert (vom Körper selbst hergestellt) werden. Semi-essentiell bedeutet, dass diese Aminosäuren nicht immer, aber in bestimmten Situationen essentiell sind. Das wären z. B. das Wachstum, die Säugephase der Häsin oder im Krankheitsfall. Nichtessentiell sind solche, die der Körper selbst herstellen, also aus anderen Aminosäuren bilden kann. Essentielle Aminosäuren für das Kaninchen sind Arginin, Histidin, Isoleucin, Leucin, Lysin, Phenylalanin, Tyrosin, Methionin und Cystin, Threonin, Tryptophan und Valin. Beim Kaninchen gibt es eine kleine Besonderheit, weil es den Blinddarmkot für sich nutzt. Dieser besteht unter anderem aus dem Protein von Bakterien, die im Blinddarm leben und einige essentielle Aminosäuren zusätzlich liefern - der Betrag liegt bei ca. 10%.

Auf ihrer Webseite informiert z. B. die Tierärztin Dr. Drescher über die Funktion der Verdauung und dem Beitrag des Blinddarmkots folgendermaßen: "Blinddarmkot besteht aus Bakterien, Mukoproteinen und Vitaminen, verweilt bis zu 6 Stunden im Magen und bleibt durch die Schleimhülle lange erhalten. Die in der Caecotrophe enthaltenen Bakterien sind durch ihre bakteriellen Enzyme so lange wirksam, bis sie durch die Salzsäure des Magens inaktiviert werden. Anschließend erfolgt im Magen und Dünndarm eine Auflösung der Schleimhülle mit nachfolgender Verdauung. Auf diese Weise sind diese Tierarten in der Lage, aus zellulosereichen Futtermitteln – die keinerlei sonstige Inhaltsstoffe wie Proteine, Fette, Kohlenhydrate oder Vitamine beinhalten müssen – alle für sie essentiellen Nährstoffe selbst zu synthetisieren." Ein Futtermittel, welches nur Zellulose enthielte und, für unsere Betrachtungen, kein Protein, wäre gewissermaßen das Aus für die Tierart "Kaninchen". Wie erwähnt, liefern Bakterien rund 10% essentieller Aminosäuren wie Methionin, aber viele Gemüsesorten und auch getrocknete Futtermittel wie Heu verfügen über so geringe Gehalte davon, dass die 10% quasi der Tropfen auf den heißen Stein wären. Von den anderen Nährstoffen ganz zu schweigen. Es gibt übrigens noch essentielle Fettsäuren, die nicht synthetisiert werden können, also auch nicht über den Blinddarmkot zur Verfügung stehen. Vitamine gelten prinzipiell als essentiell. Das Kaninchen als "Perpetuum mobile"? Das funktioniert natürlich nicht. Aber weg von den grusligen Darstellungen, welche sich gelegentlich im WWW finden und verbreitet werden.

Die folgende Darstellung wird Frau Meier sicher nicht gefallen, aber es ist tatsächlich so, das der Proteinstoffwechsel schon recht lange bekannt ist, also entsprechende Originalquellen sehr alt sind. Was soll's, ich führe sie trotzdem auf. Fehlt eine der essentiellen Aminosäuren, wird die Neukombination von körpereigenem Protein verhindert. Liegt eine dieser Aminosäuren nur mit einem unzureichenden Gehalt vor, schränkt das die Verwertung der anderen Aminosäuren ein. Das heißt also, dass die Vollständigkeit der essentiellen Aminosäuren die biologische Wertigkeit des Gesamtproteins bestimmt. Die fehlende bzw. mit dem niedrigsten, unzureichenden Gehalt vorliegende essentielle Aminosäure begrenzt den Wert des gesamten Proteins in der Futterration, weshalb diese limitierend (begrenzend) genannt wird. Unter diesen limitierenden Aminosäuren gibt es wiederum jene, die besonders wichtig sind und als „erstlimitierend“ bezeichnet werden. Beim Kaninchen sind dies Lysin, Methionin, Cystin, Tryptophan und Threonin.

Das Prinzip der limitierenden Aminosäuren beschreibt das „Minimumgesetz“ von Carl Sprengel, der es 1828 ursprünglich für das Pflanzenwachstum postulierte. Es wurde 1855 von Justus Liebig popularisiert und besagt, dass das Wachstum durch die knappste Ressource (den Minimumfaktor) eingeschränkt wird. Wird ein Nährstoff hinzugegeben, der bereits im Überfluss vorhanden ist, hat das keinen Einfluss auf das Wachstum. Veranschaulicht wird dies durch das „Liebigsche Fass“, welches nur so hoch gefüllt werden kann, wie die niedrigste Daube hoch ist. Dieses Gesetz wurde von G. Liebscher 1895 zum „Optimumgesetz“ ergänzt, welches besagt, dass der Minimumfaktor umso wirksamer für das Wachstum ist, je mehr sich die anderen Faktoren im Optimum befinden.

Am Beispiel des Liebigschen Fasses wird der Einfluss der erstlimitierenden Aminosäure Methionin auf die Qualität des Gesamtproteins dargestellt: die Höhe der Dauben symbolisiert den jeweiligen Gehalt der Aminosäuren im Futter. Das Fass kann in diesem Fall nur so hoch gefüllt werden, wie Methionin im Futter vorhanden ist. Selbst wenn man den Gehalt einer anderen Aminosäure erhöhen würde, wäre das zwecklos, weil das fehlende Methionin die Verwertung aller Aminosäuren verhindert - dass Fass läuft quasi schon vorher aus.

Bei Methionin handelt es sich um eine schwefelhaltige, essentielle Aminosäure, die für den Körper sehr wichtig ist. In kommerziellen Futtermitteln (Pellets) wird sie häufig zugesetzt. Wenn sie in ausreichender Menge vorliegt, können aus ihr die Aminosäuren Cystin und Tyrosin synthetisiert werden. Durch die Übertragung von Methylgruppen trägt es zu Entgiftungsvorgängen in der Leber bei. Da Methionin Wasserstoffionen zur Verfügung stellt, ist es wichtig für die Regulierung des Säure-Basen-Gleichgewichtes. Letztlich wird es für die Aufnahme und den Transport von Selen im Körper benötigt.

Cystin findet sich unter anderem in den Zellen des Immunsystems. Dessen Vorstufe L-Cystein wird aus Methionin synthetisiert. Cystein unterstützt das Reifen von Lymphozyten und aktiviert Zellen, die für die Immunabwehr wichtig sind. Deshalb spielt Methionin nicht nur an sich eine wichtige Rolle, sondern stellt auch einen limitierenden Faktor für die Synthese von Cystein dar.

Ich habe in der Tabelle am Anfang des Beitrags einen Mittelwert des Gehaltes von Methionin und Cystin aus verschiedenen Gemüssorten gebildet. Der Betrag liegt ca. 50% unter dem des empfohlenen. Das heißt, mit einer angenommen Mischung aus diesen "Futtermitteln" wäre das Kaninchen nur zur Hälfte mit den erstlimitierenden Aminosäuren Methionin und Cystin versorgt. Den "Rest" müsste es sich woanders her "besorgen". Der Blinddarmkot liefert eventuell ca. 10%, wären also noch 45% offen. "Woher nehmen, wenn nicht stehlen"?

Laut eimem Artikel in der Rodentia können sich Kaninchen aus einer großen Menge (ad libitum) Gemüse alles herausuchen, was sie tatsächlich benötigen: "Gemüse in großer Menge ermöglicht den Kaninchen, sich herauszusuchen, was sie tatsächlich benötigen, und birgt keinerlei Gefahren." (Schillinger, 2011). Sie können sich aus -27,5% ... -85,2% Methionin+Cystin, also aus einem Defizit, aussuchen, was sie brauchen? Das ist ein Widerspruch in sich ... Zu dem Gemüse kommt noch Heu dazu, im schlimmsten Fall also -9,2% Meth+Cys (Luzerneheu ist wegen dem Calciumgehalt "verboten"). Wie mache ich aus zwei Defiziten, also aus zwei Minus ein Plus? Ja, ok - durch Multiplikation. Aber den Fall haben wir hier nicht, sondern eine Summe. Wenn ich zwei negative Gehalte addiere, ergibt das die negative Summe daraus. Oder ich bilde einen Mittelwert, der auch negativ wäre. Wenn ich z. B. Kohlrabi und Mohrrübe zu gleichen Teilen verfüttern würde, ergäbe sich ein Minus von 58%. Mehr als die Hälfte fehlen also zum empfohlenen Gehalt. Mit der Aussage in der Rodentia wurde in dem Bemühen, über "Mythen" in der Kaninchenernährung aufzuklären, tatsächlich ein weiterer Mythos etabliert. Bei fehlender Auswahlmöglichkeit an arttypischer Nahrung (frischen Wiesenpflanzen) ist Gemüse nämlich durchaus geeignet, Kaninchen zu schaden.

Jetzt werde ich noch richtig fies und nehme Frau Meier auch noch ein Argument für eventuelle Einwände - die Empfehlung für den Methionin/Cystin-Gehalt stammt aus einer aktuellen Quelle, nämlich aus dem Kapitel "Pet Rabbit Feeding and Nutrition" (Heimkaninchenfütterung und Nahrung) von Lowe, 2010 und die Gehalte für Aminosäuren aus der 7. Auflage, 2008 des Tabellenwerkes "Die Zusammensetzung der Lebensmittel" von Souci, Fachmann und Kraut.

Also, liebe Leser - wie erfülle ich den Bedarf meiner Kaninchen an essentiellen Aminosäuren, wenn ich Heu und Gemüse füttere? Wenn Getreide und Trockenfutter "verboten" sind? Wenn ich keine Wiese sammeln darf/kann/will?

Natürlich haben Sie die Lösung in der Tabelle 1 schon erspäht: es ist der Grünkohl. Wenn man bestimmte Gemüsesorten aussuchen und mit Grünkohl ergänzen würde, könnte man vielleicht dem Dilemma entkommen? Am besten benutzt man dafür eine Feinwaage, damit nichts schiefgeht. Und wir müssen Sorge tragen, dass der Grünkohl auch in der Menge gefressen wird, die das Kaninchen braucht, um den Bedarf an Meth+Cys zu decken. Dabei könnte es allerdings zu einem kleinen Problem kommen. Schon wieder. Ich komme immer nur mit Problemen ...

Sie erinnern sich bestimmt, liebe Leser, dass ich schon einmal kurz auf die Kohlenhydrate eingegangen bin (ich werde das aber später noch einmal explizit aufdröseln). Die sieht man in der 150 Jahre alten Weende-Analyse nicht, mit der Frau Meier aber eigentlich ganz zufrieden ist. Dort sind die Kohlenhydrate zum Teil ein Gemisch aus Rohfaser und den NfE.In der erweiterten Futtermittelanlayse /Detergenzienanalyse) nach van Soest sieht man aber zumindest einige, wichtige Gruppen: "Cellulose", "Hemicellulose" und "Non fibre carbohydrats" (Nichtfaser-Kohlenhydrate) NFC. Noch einmal als Erinnerung: NFC sind die Kohlenhydrate, die leicht und komplett verdaulich sind, weil sie durch Enzyme verwertet werden. Es handelt sich damit um solche, die man umgangssprachlich auch als das bezeichnet, was im Überschuss "dick macht".

In dem folgenden Diagramm sind Analysewerte nach van Soest für Wiese und Grünkohl in 120 g Trockenmasse aufgeführt, also das, was ein 2,5kg-Kaninchen an Masse täglich fressen kann. Die Balkenabschnitte sind mit den entsprechenden Nährstoffgruppen beschriftet. Neben dem Balken für Wiese ist links der Anteil der Kohlenhydrate dargestellt und rechts das Prinzip der Verdauung. Für NFC sind das Enzyme und für Hemicellulose sowie Cellulose die Bakterien im Darm. Lignin ist unverdaulich. Die Bezeichnungen gelten natürlich entsprechend für Grünkohl.

Bild 2: van Soest Analysewerte für 120g Wiese und Grünkohl, in g/120g TS; Abgrenzung der Kohlenhydrate; Verdauung der Kohlenhdratgruppen durch Enzyme und Bakterien  


Aus dem Diagramm lassen sich sehr viele Fakten ableiten, aber wir sind ja beim Thema Aminosäuren. Die sieht man in dem Diagramm nicht, weil solche Werte nicht deklariert werden. Wohlgemerkt - es handelt sich bei Aminosäuren um lebenswichtige Inhaltsstoffe, aber sie werden nicht angegeben. Man muss sich diese Werte also aus diversen Quellen besorgen. Diese könnte man dann in entsprechenden Tabellen aufführen. Das hat den Nachteil, dass man schnell den Überblick verliert, vor allem dann, wenn man gleichzeitig noch andere Nährstoffe im Blick behalten möchte. Manchem Leser schwant bestimmt schon etwas, wenn er sich den NFC-, Cellulose-, Hemicellulose- und Ligningehalt in dem Diagramm anschaut. Das sieht nicht gut für den Grünkohl aus und weist auf ein Problem ... Moment bitte, ich höre da gerade jemanden aufgeregt mit den Fingern schnippen ... Ääh, ja bitte, Frau Meier?

Frau Meier: Sie wollen doch jetzt nicht den Grünkohl madig machen, Herr Rühle! Der ist sehr beliebt und auch sehr gesund. Das ist allgemein bekannt.
Ich: Nein Frau Meier, ich will den Grünkohl nicht madig machen, dass besorgt die Natur. Sie beziehen "beliebt" und "gesund" auf die menschliche Ernährung, stimmt's?
Frau Meier: Natürlich nicht nur. Auch für die Kaninchen gilt das. Dafür braucht man nicht einmal Studien, weil das allgemein bekannt ist. Und aus meiner Erfahrung kann ich das nur bestätigen.
Ich: Unsere Kaninchen fressen keinen Grünkohl.
Frau Meier: Dann stimmt etwas nicht mit Ihren Tieren. Vermutlich vom Züchter und der hat Inzucht getrieben.
Ich: Nein, sie  ...
Frau Meier: ... und überhaupt! Niemand füttert doch nur Grünkohl! Es gibt ja auch noch andere, leckere Gemüse- und Kohlsorten! Das Beispiel ist also völlig neben der Praxis!
Ich: Vielen Dank für den Hinweis, Frau Meier. Ich wollte erst einmal grundsätzlich das Prinzip darstellen, wie ich zu meinen Schlussfolgerungen komme. Natürlich gibt es dann noch weitere Beispiele.
Frau Meier: Also ich finde es nicht gut, wie sie hier versuchen, Gemüse schlecht zu machen.
Ich: Das mache ich nicht, sondern die Natur. Ich bin nur der Überbringer von Nachrichten, weil viele nicht wissen, wie man bestimmte Dinge bewerten kann und wo man die Werte herbekommt. Ich nehme ihnen die Arbeit ab.
Frau Meier: Aber sie verunsichern doch die Halter, vor allem Jugendliche. Wir sind ja schon froh, wenn die ihren Tieren nicht nur buntes Trockenfutter geben.
Ich: Aber warum empfehlen sie dann nicht die arttypische Nahrung von Kaninchen wie Wiese?
Frau Meier: Weil viele nicht die Zeit und Lust haben, Grünes zu sammeln.
Ich: Woher wissen Sie das?
Frau Meier: Na, das ist eben so und deshalb müssen wir aufklären und Alternativen anbieten.
Ich: Ich habe andere Erfahrungen gemacht. Wenn man den Haltern erklärt, dass bestimmte Dinge notwendig sind, damit sich ihre Tiere wohl fühlen und gesund bleiben sind viele auch bereit, den Aufwand in Kauf zu nehmen.
Frau Meier: Das kann ja sein, unsere Erfahrungen sind jedenfalls andere und jetzt habe ich sowieso keine Zeit mehr, mit Ihnen zu diskutieren. Meine "Schnuffelnase" hat jetzt einen Termin zum Zähne schleifen und "Kuschelinchen" hat schon wieder so komische Bauchgeräusche und niest dauernd. Und tschüss!
Ich: Äähh ...
Frau Meier: ... (ist dann mal wech)

Nach der kurzen Unterbrechung also weiter im Thema: wie ich bereits angedeutet hatte, kann Grünkohl natürlich nicht die alleinige Nahrung für Heimkaninchen sein - die Regel ist ein Gemisch aus verschiedenen Gemüse-, Salat- und Kohlsorten und dazu Heu. Bevor Sie jetzt also Unmengen an Grünkohl besorgen, warten Sie bitte auf den nächsten Beitrag. Die Aminosäuren sind ja nur ein Aspekt in der Ernährung ...


Quellen:
Drescher, B: Der Unsinn mit den „Snacks“ für Kaninchen und Meerschweinchen. Internetressource. www.birgit-drescher.de - Kleintierklinik, Veterinärmedizin Priv. Doz. Dr. med.vet. Birgit Drescher. URL: http://www.birgit-drescher.de/kaninchen02.html; Abruf am 13.11.2017

Lowe, J. A. 2010. Pet Rabbit Feeding and Nutrition. [Hrsg.] C. de Blas und J. Wiseman. Nutrition of the Rabbit. s.l. : CAB International 

Schillinger, V. (2011): Mythen in der Kaninchenernährung. Teil 2. Die größten Irrtümer über die Fütterung von Kaninchen. Rodentia 61. 35-37

Sonntag, 19. November 2017

Futtermengen und Energie. Teil 3: Rohnährstoffe

Die Trockensubstanz enthält alle Nährstoffe, also Proteine (Eiweiß), Fett, Kohlenhydrate sowie unverdauliche Stoffe wie Mineralien und Lignin. Seinen Energiebedarf bezieht das Kaninchen hauptsächlich aus den Kohlenhydraten, Fett und Proteinen. In der Futtermitteldeklaration wie auch in Futterwerttabellen werden keine Kohlenhydrate angegeben. Die verstecken sich hinter den Begriffen "Rohfaser" (Rfa) und "Stickstofffreie Extraktstoffe" (NfE).  

Bild 1: Deklaration eines Futtermittels









Bild 1 zeigt beispielhaft die Deklaration eines Futters, also die Gehalte der Rohnährstoffe. Solche Angaben beziehen sich immer auf die Trockensubstanz. In einer "ordentlichen" Deklaration wird der Gehalt der Rohasche (Ra) angegeben, so dass man mit den Informationen einen fehlenden Wert errechnen kann: die "Stickstofffreien Extraktstoffe". Sie ergeben sich aus NfE=100-(Ra+Rfe+Rp+Rfa). Das klingt alles richtig gut und man weiß jetzt, was in einem Futter enthalten ist.

In der Kaninchenernährung wird ja immer darauf verwiesen, dass die Rohfaser eine sehr wichtige Größe ist, folglich richten sich auch alle Blicke immer erst einmal auf diesen Wert. Aber was ist das eigentlich, die Rohfaser? Nichts Genaues weiß man nicht. Es kann niemand konkret sagen, was das eigentlich ist. Ihr Wert wird aus dem Rückstand ermittelt, der nach der Behandlung der Probe mit Säuren und Laugen übrigbleibt. Das war's. Theoretisch besteht sie aus einer phenolischen Verbindung - dem Lignin - und aus Kohlenhydraten. Da denkt jetzt jeder sofort an Zucker und eigentlich sind es auch solche, aber eben auch "Vielfachzucker", Polysaccharide genannt (poly=viel, saccharid=zucker). Diese Verbindungen bestehen aus bis zu 500 einzelnen Zuckermolekülen. Pflanzenfasern bestehen aus solchen Polysacchariden und je nach deren Größe sind diese schwer- oder leichtverdaulich. Monosaccharide werden sofort resorbiert und Disaccharide nach der Aufspaltung durch Disaccharidasen. Für die Poly- bzw. Mehrfachzucker übernehmen diesen Job Bakterien im Blinddarm. Dabei entstehen auch Fettsäuren, die dem Körper wiederum als Energiequelle dienen können. Der Blinddarmkot enthält diese Fettsäuren und wird vom Kaninchen aufgenommen. Auf diese Weise stehen dem Kaninchen 10-30% an Energie zusätzlich zur Nahrung zur Verfügung. Das ist besonders wichtig in Zeiten, in denen das Kaninchen nur schwer an qualitativ gute Nahrung herankommt. Ist die Nahrung dagegen sehr energiehaltig, also über den Bedarf liegend, wird weniger Blinddarmkot aufgenommen. Das heißt, ein Teil bleibt oft zum Ärger des Halters ungenutzt liegen.

Die Stickstofffreien Extraktstoffe enthalten überwiegend ebenfalls Kohlenhydrate. Dabei handelt es sich aber vorwiegend um leichter und komplett verdauliche Zucker wie auch Stärke.

Das heißt, die Rohfaser und NfE bilden zwei Gruppen, die verschiedene Kohlenhydrate enthalten. Dass die Analysewerte dieser beiden Gruppen nicht unbedingt zu einer korrekten Bewertung eines Futters führen, war schon mit der Einführung der Weende-Analyse in den 1860er Jahren bekannt, aber die Analysemethoden ließen damals eine einfache, schnelle Erfassung der einzelnen Kohlenhydrate nicht zu. Rund 100 Jahre später etablierte der amerikanische Forscher Peter J. van Soest eine neue Methode, die später auch nach ihm benannt wurde. Eine andere Bezeichnung ist "Detergenzienmethode". Mit ihr werden zwar auch wieder nur Gruppen von Kohlenhydraten erfasst, die aber nach ihrer Verdaulichkeit, also dem Nutzen für ein Tier, beurteilt werden können. In dieser Analyse gibt es die Rohfaser und NfE nicht mehr, stattdessen Lignin, Cellulose, Hemicellulose und Nichtfaser-Kohlenhydrate NFC (non fibre carbohydrats).

Bild 2: Weende- und van-Soest-Analysewerte für ein Gemisch aus Gräsern und Kräutern, in g/kg TS

      
Das bunte Bild 2 wirkt erst einmal etwas verwirrend, aber im Prinzip ist es recht einfach zu verstehen. Die drei oberen Balkenabschnitte Rohasche, Fett und Protein sollen an dieser Stelle nicht weiter interessieren, weil die Werte in beiden Analysemethoden gleich sind. Die Detergenzienmethode ist ja eigentlich "nur" eine Erweiterung der Weende-Analyse in Bezug auf die Kohlenhydrate. Links sieht man die Gehalte für Rohfaser und Stickstofffreie Extraktstoffe (NfE), rechts dagegen Lignin, Cellulose, Hemicellulose und "non fibre carbohydrats" (NFC). Die Rohfaser umfasst in diesem Fall offenbar das komplette unverdauliche Lignin und einen Teil der schwerverdaulichen Cellulose. Die NfE, von denen man meint, sie wären leicht verdaulich, enthalten aber auch einen Teil der Cellulose. Dagegen sind die wirklich leicht und komplett verdaulichen Kohlenhydrate in der (rechten) van-Soest-Analyse durch den NFC-Wert abgegrenzt. Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, liebe Leser - aber nachdem ich den rechten Balken sehe, kann ich eigentlich den linken in Bezug auf eine Aussage zu den Kohlenhydraten komplett vergessen. Er enthält keine Aussage zu dieser wichtigen Nährstoffgruppe. Die gleiche Auswertung möchte ich Ihnen noch anhand der Analysewerte der Mohrrübe zeigen. Die Balkenbeschriftungen habe ich diesmal weggelassen.

Bild 3: Weende- und van-Soest-Analysewerte für Mohrrübe, in g/kg TS


Auch für Bild 3 gilt, dass die oberen Balkenabschnitte (grau, rot, gelb) hier nicht interessieren. Man erkennt erst einmal grundsätzlich, dass die Mohrrübe nur etwa über die Hälfte der Rohfaser von Gräsern/Kräutern im linken Balken, Bild 2 verfügt. Das war's. Der Rest sind halt die NfE. Schaut man sich jetzt aber die Kohlenhydrate im rechten Balken (van Soest) in Bild 3 an, offenbart sich eine große Überraschung. Lignin ist in einem so geringen Maß vorhanden, dass man es kaum sieht, die schwerverdauliche Cellulose ist fast komplett in der Rohfaser enthalten und es existiert nur in geringem Umfang Hemicellulose. Der Rest sind komplett verdauliche Kohlenhydrate!

Das heißt, dass die Mohrrübe nicht nur über weniger Rohfaser verfügt, sondern im Vergleich zu Wiesenpflanzen auch über einen enorm hohen Gehalt an leicht verdaulichen Kohlenhydraten, die bis zu einfachen Zuckermolekülen abgebaut werden können. Das heißt auch, dass allein schon diese Auswertung zeigt, dass die Mohrrübe einen wesentlich höheren Energiegehalt als Wiese enthält, der zudem leicht und schnell verfügbar ist.

Es ist also grober Unfug zu behaupten, Kaninchen würden im Vergleich mit Wiese dicker werden als mit Gemüse. Dafür gäbe es nur eine schlüssige Erklärung - das Gemüse wird rationiert. Das wäre dann aber noch fataler, wie ich in einem anderen Beitrag noch zeigen werde bzw. schon einmal angedeutet hatte.

Ein Vergleich mit Äpfeln als Beispiel würde etwa das gleiche Bild wie für die Möhre ergeben, deshalb zum Abschluss dieses Artikels nur noch einmal die drei Futtermittel im Vergleich der Detergenzienmethode bzw. der Analyse nach van Soest.

Bild 4: van-Soest-Analysewerte für Mohrrübe, Apfel und Gras/Kräuter im Gemisch, in g/kg TS


In Bild 4 sind dunkelgrün rechts neben den Balken noch einmal die Rohfasergehalte aus der Weende-Analyse eingefügt. Ich denke, dass der Vergleich eindrucksvoll zeigt, wo die Unterschiede zwischen den Futtermitteln liegen:
  1. Die Rohfaser (dunkelgrün) der Weende-Analyse bildet den Gehalt der Kohlenhydrate nicht ab.
  2. In Äpfeln und Mohrrüben überwiegen deutlich die NFC (hellrosa), also die Kohlenhydrate, die schnell und komplett verwertet werden können. Das sind z. B. Mono- und Disaccharide sowie Stärke.
  3. Auf Grund der hohen Anteile an NFC sind Äpfel und Mohrrüben sehr energiehaltig.
  4. Äpfeln und Mohrrüben fehlen Lignin (dunkelbraun) und jene schwerverdaulichen Kohlenhydrate (C=braun, HC=hellbraun), die als "Ballast" der Peristaltik oder als "Schleimstoffe" dem Darmschutz dienen.
Was das im Weiteren für die Kohlenhydrate bedeutet, werde ich später noch erläutern - z. B. das, was mit den überschüssigen NFC passiert und was daraus resultieren kann. Im nächsten Beitrag soll es aber erst einmal mit Futtermengen, Energie und Nährstoffen wie z. B. Protein und Fett weitergehen - die habe ich ja bisher außer Acht gelassen. Bleiben Sie also interessiert und folgen mir auf den Spuren der Bedürfnisse für Kaninchen ...

Sonntag, 12. November 2017

Kurzer Einschub zum Thema "Literaturnachweise"

Bestimmt haben Sie jetzt die Fortsetzung zum Thema Futtermengen & Energie erwartet, aber ich schiebe mal eben ein Thema dazwischen, welches ich schon lange aufgreifen wollte, aber immer wieder verdrängt habe: es geht um die Literaturnachweise, die ich in meinen Büchern und Artikeln nutze. Bereits zum ersten Buch „Kaninchen würden Wiese kaufen“ wurde in einer Rezension bei einem bekannten Internet-Buchhandel kritisiert, dass ich so viele und „alte“ Quellen benutzen würde. Auch in Diskussionen in Foren wurde gelegentlich gefragt, ob ich denn nicht „Neueres“ hätte, aktuelle Studien und so. Da sind sie wieder: die Studien. Jeder will eine haben und wenn man sie bekommt, wird sie ignoriert oder sie ist zu alt oder wurde vom falschen Personal geschrieben oder in einer falschen Zeitschrift veröffentlicht oder, oder, oder … . Es geht am Ende gar nicht um die Studien, sondern um die Hoffnung, dass sich irgendwie ein eigenes (falsches) Weltbild bestätigt findet. 

Wissen Sie, wie lange schon bekannt ist, dass die Erde rund ist? Seit dem 3. Jahrhundert vor Christus. Eratosthenes, ein griechischer Gelehrter, errechnete zu dieser Zeit nach präzisen Messungen sogar den Erdumfang. Manches Wissen ist schon so alt wie Menschheit selbst, aber einige mögen selbst einfachste Zusammenhänge nicht so recht glauben und hoffen auf Studien. Am besten eine, in der steht: „Ja, Frau Meier* aus Germany, sie haben Recht: Getreide ist Gift, verklebt den Darm, treibt das Kaninchen auf, füttert Bakterien, Viren und Atome; man kann drauf ausrutschen und sowieso ist das Kaninchen ein wandelndes, dummes Ding – ein bedauerlicher Unfall Gottes. Es überlebt jetzt nur noch mit Hilfe des Menschen und seinen Gemüsegutscheinen von diversen Supermärkten.“

Es ist unglaublich, wie festzementiert mancher Unfug in den Köpfen von Menschen ist. Dem Geraune in den Weiten des WWW wird häufig eher geglaubt als jeder Studie. Jetzt finden Sie mal eine Studie, die jeden ausgesprochenen Blödsinn, der da teilweise verbreitet wird, widerlegt. Es geht nicht. Ich habe zum Beispiel bis zum heutigen Tag nicht eine einzige Studie gefunden (egal, aus welchem Jahrhundert) die belegt hätte, das Getreide quasi über eine toxische Funktion verfügen würde. Nicht eine einzige. Es gibt keine. Aber: es gibt zahlreiche Überlieferungen, Bücher, Fachartikel oder Studien, die belegen, dass Getreide, in entsprechenden Mengen, Kaninchen nutzen kann. Vor allem seit dem Erstarken der industriellen Haltung und Futtermittelherstellung wurde der Nutzen oder Schaden von Getreide bzw. Stärke in zig Versuchen untersucht. Früher wurde sogar ein Eiweiß/Stärke-Verhältnis für die Energieabschätzung genutzt. Das Getreide im Übermaß gesundheitsschädlich sein kann ist ebenso bekannt wie die "Toxizität" des Wassers, wenn man es in kurzer Zeit in großen Mengen aufnimmt.

Als ich anfing, mich etwas näher mit Kaninchen zu beschäftigen, habe ich natürlich alles an aktueller, wissenschaftlicher Literatur gelesen, was der Markt und die Bibliothek hergab. Klassiker im Kaninchenbereich in Deutschland sind z. B. Fekete, Schlolaut und Kamphues, etwas später kamen noch Ewringmann und andere hinzu. Recht schnell fiel mir auf, dass manches nicht unbedingt schlüssig klang und dass sehr viel ausländische Literatur zitiert wurde. Deutschland leidet gewissermaßen an wissenschaftlicher Inzucht beim Thema „Kaninchen“, man schaue sich nur einmal die Literaturübersichten in Doktorarbeiten an. Manche kann ich mittlerweile schon singen. In einem Forum wurde beklagt, ich würde zu wenig Dr. Wolfgang Schlolaut zitieren, schließlich wäre der eine Kapazität in der „Kaninchenforschung“. Naja, mein Ziel ist es ja nicht, Kaninchen in kürzester Zeit auf ein Schlachtgewicht zu bringen oder Häsinnen mittels künstlicher Befruchtung Leistungen abzuverlangen, denen sie nicht gewachsen sind.

Das Thema "Nahrung" des Kaninchens ist das bei weitem am besten „erforschte“ und es gibt Studien ohne Ende, die dieses Feld beackern. Währenddessen seppeln die Wildkaninchen jeden Tag auf den Wiesen umher und selbst Laien können die Frage, was ein Kaninchen frisst, relativ zuverlässig und punktgenau beantworten: "Na, Grünes halt".

Bild 1: Ein Wildkaninchen inmitten seiner natürlichen Nahrung, die auch Stärke enthält - in den zahlreichen Früchten von Gräsern, Kräutern und Sträuchern. Wenn Getreide zur Verfügung steht, wird auch dieses als Nahrung genutzt.


Trotzdem versucht man in Laboren immer noch herauszubekommen, was wohl dem Kaninchen in puncto Ernährung guttun könnte. Im Labor. In Ausnutzungskäfigen. Damit Frau Meier in Deutschland ruhig schlafen kann, nachdem sie „grainless“ der Firma XY verfüttert hat. Und Gemüse. Das Interessante dabei ist, dass es seit ca. 150 Jahren zu Rohnährstoffen eigentlich keine neuen Erkenntnisse gibt. Solange existiert die Weende-Futtermittelanalyse und sie wird auch heute immer noch in Deutschland benutzt, um (Roh-)Nährstoffgehalte für Futtermittel anzugeben. Auch Frau Meier nutzt diese Angaben ganz selbstverständlich, um kritisch die Inhalte von „Grainless“-Futtermitteln zu überprüfen. Wie gesagt – die Methode ist 150 Jahre alt. Das stört sie nicht. Aber wehe, dort wird irgendwo angegeben, dass das Futter 1% Melasse enthält. Dann brennt der Block. Dann wird ein Shitstorm via #fuck_melasse losgetreten und die Firma darf sich warm anziehen.  

Es gibt zum Beispiel keine alte oder aktuelle Studie, in der belegt worden wäre, dass Heu und Gemüse eine artgerechte Nahrung für Kaninchen darstellen würde. Tatsache. Weder in Deutschland, noch in China, Australien oder Timbuktu. Trotzdem wird das Zeug verfüttert, als wäre es das Nonplusultra für Kaninchen. Ohne Studie. Ein Wissenschaftler wäre ja verrückt, wenn er etwas veröffentlichen würde, was ihm schon mit den simpelsten Mitteln der Chemie, Biologie oder Mathematik um die Ohren gehauen werden könnte.

Was an der aktuellen Literatur auffällt ist, dass dort für manche Informationen relativ „alte“ Quellen angegeben wurden. Es gibt so richtige Klassiker wie z. B. Rubner, Kleiber, Mangold, Lenkeit, Nehring usw., die im Prinzip den Grundstein für die Fütterungslehre in Deutschland und auch für das Ausland gelegt haben. Im Prinzip geben selbst aktuellste Fach- und Lehrbücher wie beispielsweise von Jeroch oder Kirchgeßner das Wissen dieser Klassiker wieder, auch wenn es nicht unbedingt ständig zitiert wird. Es gilt halt als common sense (gesunder Menschenverstand), state of the art (neuester Stand der Wissenschaft) oder eben Allgemeinwissen. 1+1=2 wird ja heute auch nicht mehr mit einer Studie belegt. Da fällt mir ein: unsere armen Kinder - lernen in der Schule Zeugs, was so alt ist wie die Greifensteine.

Wieso gebe ich also vergleichsweise alte Quellen an? Der Grund ist eigentlich recht simpel. Ich bin nämlich anfangs mit der Zitierung von Informationen aus aktuellen Arbeiten, Büchern oder Fachartikeln (Studien) immer wieder auf die Nase gefallen. Seitdem habe ich es mir zum Prinzip gemacht, zitierte Angaben in Fachartikeln in der Originalquelle zu prüfen. Das ist zeit- und vor allem kostenintensiv, weil vieles hinter einer Paywall steckt und auch über Bibliotheken nur in Form einer kostenpflichtigen Kopie erhältlich ist.  

Ein Beispiel: in Deutschland findet sich häufig die Information, dass Hauskaninchen auf Grund der Domestikation ein geringeres Fassungsvermögen der Verdauungsorgane im Vergleich zum Körpergewicht aufweisen würden, als Wildkaninchen. Klingt das logisch? Eben. Also habe ich die Herkunft dieser Information bis zu ihrer ursprünglichen Quelle zurückverfolgt. Ergebnis: in aktuellen Arbeiten wie auch in Lehrveranstaltungen wird auf das Ergebnis einer Dissertation verwiesen, welches aus dem Jahr 1919 stammt. Wie gesagt – eine „aktuelle“ Information stammt eigentlich aus einer Arbeit aus dem frühen 20. Jahrhundert (wir leben momentan im 21.!). Und sie ist falsch. Eine topaktuelle, wissenschaftliche Information ist falsch. Nachweislich. Ich habe die Dissertation überprüft und mit teurer Statistiksoftware gecheckt, damit es geglaubt wird, obwohl man die eigentlich gar nicht braucht. Das Versuchsdesign und die Auswertung waren einfach nur grottenschlecht. Interessant ist, dass das sogar schon damals von namhaften Wissenschaftlern wie Haesler kritisiert wurde, aber diese Kritik wurde später einfach nicht beachtet oder weggelassen. Es ist also möglich, dass eine topaktuelle Quelle diese Behauptung zitiert, obwohl sie falsch ist. Aber vielleicht passt ja die topaktuelle, aber falsche Aussage Frau Meier eher in den Kram, als eine ältere und berechtigte Kritik.

Ein weiteres Beispiel: die „Rohfaser“ gilt als sehr wichtig für die Ernährung von Kaninchen, obwohl dieser Wert eigentlich keine Aussagekraft hat. Wenn man sich die Entwicklung von Empfehlungen für Rohfasergehalte über die Jahrzehnte ansieht fällt auf, dass die Gehalte immer mehr anstiegen. Von früher 8-9% Rohfaser liegt man heute bei ca. 15-16%. Wenn man diese Entwicklung verstehen möchte, muss man sich das jeweilige Versuchsdesign ansehen. Waren es früher noch „strukturierte“ Futtermittel, sind es heute Pellets als jeweiliges Versuchsfutter. Futtermittel, deren Komponenten fein vermahlen werden. Es gibt auch Untersuchungen darüber, wieviel „Rohfaser“ für ein Kaninchen eigentlich gesund ist. Man wird finden, dass 16% eigentlich harte Kante und geeignet sind, die Darmschleimhaut nachhaltig zu schädigen. Aber es geht nicht anders, weil die fehlende Struktur mit mehr „Rohfaser“ ausgeglichen werden muss. Als in Frankreich eine Seuche in Form entzündlicher Darmerkrankungen auftrat und später auch auf Deutschland übergriff, waren französische Wissenschaftler erstaunlich schnell mit einer möglichen Ursache zur Hand – nämlich der Rohfaser, also dem Dingens aus der 150 Jahre alten Analysemethode. Dazu muss man wissen, dass einige Grundstoffe für industrielle Fertigfutter wie z. B. Luzerne aus Frankreich kommen. Es wurde „gemutmaßt“, dass wohl der Begriff der „Rohfaser“ bestimmte Kohlenhydrate nur unzureichend für einen Nutzen oder Schaden in der Verdauung beschreibt und plötzlich konzentrierte man sich auf „Lignin“, „Cellulose“ und „Hemicellulose“. Mittlerweile gibt es sogar Empfehlungen für deren Gehalte in Futtermitteln und man lese und staune: die entsprechen fast denen in der natürlichen Nahrung von Wildkaninchen. Unfassbar und gewissermaßen ein Meilenstein in der Wissenschaft: es wurde festgestellt, dass das Verhältnis bestimmter Nahrungsstoffe, wie sie die natürliche Art frisst, auch für domestizierte Tiere gut ist. Ist das nicht unglaublich? Faszinierend? Umwälzend und völlig neu? Nein. Das Problem war schon recht lange bekannt und Verweise darauf sind somit zwangsläufig alt. Schon in den 1870er Jahren wusste man, dass die Zusammensetzung der Kohlenhydrate maßgeblich ist und nicht ein „Rohfaser“-Wert. In Deutschland ging das Thema mit Einführung industrieller Futtermittel völlig unter und bis heute wird behauptet, dass die Herstellung von Futtermitteln mit einer Einstellung des Kohlenhydratverhältnisses so gut wie unmöglich sei. Von deutschen Wissenschaftlern. Amtlich. Aus Frankreich kommen Empfehlungen, aber Deutschland sagt: Nein. Geht nicht. Sorry, tut uns leid. Wir machen nicht Fehlerprävention, sondern versuchen, die Krankheit und ihre Auswirkungen zu bekämpfen. Am besten mit einem Impfstoff.

In den 1960er Jahren wurde eine Analysemethode entwickelt, die eine Unterscheidung der Kohlenhydratfraktionen möglich macht. Darüber gibt es Fachliteratur und auch die Messtechnik wurde dahingehend entwickelt. Die wird von mir zitiert. Die Informationen sind also relativ alt. Das werden sie auch bleiben, weil nämlich deutsche Wissenschaftler diese Analysemethode gewissermaßen totschweigen. Aktuelle Promotionsarbeiten geben nach wie vor die „Rohfaser“ an. Die Industrie verweigert eine Einführung der Prüfmethode, die Politik fordert sie nicht und topaktuelle Veröffentlichungen geben immer noch die 150 Jahre alte „Rohfaser“ an. Auch Frau Meier stört das komischerweise nicht. Ich aber werde in meinen Veröffentlichungen immer den Urheber der besseren Prüfmethode und deren Sinnhaftigkeit angeben – das Veröffentlichungsjahr ist 1967. Und ich werde auch Kritiken an der veralteten Methode erwähnen – die stammen aus den 1870er Jahren.

Noch ein Beispiel: die gnadenlose Verteufelung des Getreides bzw. von Stärke geht zurück auf die Veröffentlichung einer bekannten Tierärztin, in der wahllos alles, was Getreide enthält, in einen Topf geworfen wurde. Angereichert mit einer unsinnigen „Feststellung“ zur Ernährung bzw. Nahrungserlangung von Wildkaninchen, die angeblich nur für eine sehr kurze Zeit und nur bedingt an Getreide/Stärke herankämen. Stärke ist ein Energiespeicher von Pflanzen und ist fast ganzjährig für Kaninchen aus den verschiedensten Pflanzensamen verfügbar. Sie haben sogar ihre Fortpflanzungszeit extra in die Zeit verlegt, in der diese Speicherstoffe zur Verfügung stehen. Das hat die Tierärztin, auch auf Nachfrage, gar nicht interessiert. Tierschützer griffen diesen Artikel begeistert auf, weil er ihr Ideologie in trefflicher Wiese bediente. Fakten interessierten und interessieren auch heute nicht. Frau Meier hatte jetzt endlich etwas in der Hand, was sie bestätigte – ganz ohne Studien, aber von einer Tierärztin. Ja, es ist wirklich so, denn dieser Artikel kommt gänzlich ohne Quellen aus und wird trotzdem bedingungslos angenommen. Jedes fachliche, mit Quellen belegte Argument aber, welches diesem unsäglichen Artikel widerspricht wird abgelehnt. Die Quellen sind zu alt, der Autor passt nicht, die Ergebnisse kommen von der Futtermittelindustrie, die Welt ist schlecht und sowieso ist alles nur solange gut, wie es einfach in Supermärkten, von einem durch den Tierschutz „zertifiziertem“ Futtershop oder von privaten Brezelbäckerinnen besorgt werden kann. Dann braucht es keine Studie. Dann ist alles gut.

Ausnahmslos alle aktuellen Fachbücher, -artikel, Studien, Dissertationen oder sonstige wissenschaftlichen Arbeiten kommen um ältere Quellen nicht herum. Die Frage ist, inwieweit diese noch erwähnt werden. Häufig gibt es eine sogenannte Spur, die man nur dann entdeckt, wenn man sich gut auskennt. Dann merkt man sofort, dass ein Argument aus einer bestimmten Quelle stammt, auch wenn sie nicht angegeben wird. Manchmal ist es einfach nur ein Wert, der einem die tatsächliche Herkunft verrät.

Dr. E. Böhmer gibt zum Beispiel in ihrem Buch zu Zahnerkrankungen von Kaninchen aus dem Jahr 2014 keine einzige Quelle an – außer ihre eigenen Arbeiten. Man könnte also davon ausgehen, dass all das, in dem Buch versammelte Wissen von ihr stammt und sie entsprechend zitieren und schon hätte man eine schöne, brandaktuelle Quelle. Ich weiß aber, woher viele Informationen aus ihrem Buch stammen. Also zitiere ich nicht sie, sondern die zum Teil sehr alten Originale. Aus meiner Sicht gehört es sich einfach so. Dafür erfahren wir aber in ihrem Buch, dass bei „kurzköpfigen“ Rassen angeborene Kieferverkürzungen relativ häufig vorkommen. Da sie keine Quelle für diese Behauptung angibt, bleibt einem auch die Möglichkeit versperrt, deren Wahrheitsgehalt nachzuprüfen. Wer ernsthaft daran interessiert ist, muss sich also selbst auf die Suche begeben und … wird nichts finden. Ich habe die Behauptung schon vor längerer Zeit überprüft. Es gibt bis heute keinen Beleg dafür. Im Gegenteil: es gibt Arbeiten, die das Gegenteil festgestellt haben. Für die Kurzkopftheorie dagegen gibt es keinen Beleg.

In einer Dissertation wurde z. B. in einer Versuchsreihe festgestellt, dass Methionin den pH-Wert des Harns senken kann. Offenbar war die Doktorandin von dem Ergebnis selbst so überrascht, dass sie es in der Zusammenfassung nicht erwähnt hat. Prompt wurde, wohl aus der Zusammenfassung, ihre Arbeit später in der Weise zitiert, dass Methionin bei Kaninchen auf den pH-Wert des Harns keinen Einfluss habe. Tja – Pech für diejenigen, die die aktuellere Arbeit lesen, denn sie erfahren jetzt nichts von dieser Wirkung. Und werden sie natürlich anzweifeln. Überhaupt möchte ich all jene, die sich gern mit Hilfe wissenschaftlicher Literatur informieren davor warnen, nur die Zusammenfassungen zu lesen. Noch schlimmer sind die in Mode gekommenen „Reviews“. Dabei handelt es sich um Auswertungen von vielen Artikeln zu einem bestimmten Thema. Um einen schnellen Überblick zu erhalten mögen sie vielleicht hilfreich sein, aber nicht, um über etwas Spezielles zu recherchieren. Natürlich ist es mühsam, jede Arbeit komplett zu lesen und die Ergebnisse auch noch zu verstehen, aber wenn man etwas ernsthaft betreiben möchte, kommt man nicht darum herum. Wenn ich mich heute zum Thema „arttypische“ Nahrung und Gesundheit des Kaninchens schlau machen wollte, wäre ich aber mit aktueller Literatur bereits von Beginn an gewissermaßen am Ende. Dafür braucht man auch ältere Literatur. Die Alten waren ja nicht dumm, sie hatten nur nicht manche Möglichkeiten von heute. Lesen Sie mal Literatur darüber, wie auch heute noch Bauern z. B. in der Schweiz oder Österreich ihren Tieren helfen, wenn der Tierarzt nicht gerade zwei Almen weiter eine Praxis hat.

Ich selbst habe eigentlich gar kein Interesse mehr an irgendwelchen, neuen Studien über Kaninchen, für die Tiere wochenlang in Käfigen hocken müssen, nur damit Frau Meier endlich ihr gewünschtes Ergebnis bekommt. Was aber nie der Fall sein wird, wenn man z. B. Getreide als eine Art Gift betrachtet. Dem hat die Natur einen Riegel vorgeschoben.

Kaninchen trinken lieber aus offen Näpfen als aus Nippeltränken, sie nehmen mit frischer Nahrung mehr Wasser auf als mit trockener, die Ca-Konzentration im Urin ist mit frischem Futter niedriger als mit trockenem - alles topaktuelle Studienergebnisse aus Laboren. Mit Signifikanzniveau, T-Test und allem Schnickschnack, der zu solchen Untersuchungen dazu gehört. Aber mal ganz ehrlich - wer braucht so etwas? Klingt das alles nicht irgendwie logisch?

Noch einmal kurz zum Getreide bzw. Stärke: wussten Sie, dass Stärke einen Einfluss auf die Harnsteinbildung hat? Und zwar im positiven Sinn die Bildung von Harnsteinen verhindern kann? Das wussten sogar schon die alten Chinesen, weshalb es in der „Traditionellen Chinesischen Medizin“ (TCM) einen Trunk gibt, der mit Stärke angereichert wird und somit bei Harnsteinleiden Abhilfe schafft. Verrückt, oder? Und wieder nix mit „aktuell“. Verantwortlich für die Wirkung sind so genannte „saure Mukopolysaccharide“ bzw. „Glykosaminoglykane“ (GAG). Leider gibt es für den Wirkungsmechanismus aber keine Studie als Nachweis für Kaninchen – keine alte und keine aktuelle. Was mache ich jetzt? Der Mechanismus ist ein rein grundlegender, chemischer, also auf Säugetiere anwendbar, aber es gibt keine Studie für Kaninchen. Blöd. Wissen Sie was? Ich behalte das jetzt einfach für mich und Sie verraten nicht weiter, dass Sie hier etwas gelesen haben, was eventuell Kaninchen zum Nutzen sein könnte. Weil ich nämlich keine Studie dafür habe und Getreide als giftig gilt. Somit bekommen Sie und ich keinen Ärger mit Frau Meier. Abgemacht? Vielen Dank!

Im nächsten Beitrag geht es dann aber wieder weiter mit den Futtermengen.  

* Frau Meier ist der Name einer fiktiven Person, die mit keiner toten oder lebenden Person verwandt, verschwägert oder verschwippschwägert ist. 

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Qualität und Quantität (2)