Sonntag, 3. Dezember 2017

Futtermengen Teil 5


In diesem Beitrag möchte ich verschiedene Szenarien für die Fütterung von Kaninchen durchgehen. Ich werde mich dabei an dem Vorbild orientieren, das in den folgenden Darstellungen als „Wiese“ bezeichnet wird sowie an den Bedarfswerten für Hauskaninchen aus dem Kapitel „Pet Rabbit Feeding and Nutrition“ (deutsch: Fütterung und Nahrung von Heimkaninchen) von Lowe aus dem Buch „Nutrition of the Rabbit“ von de Blas & Wiseman aus dem Jahr 2010. Das sind die derzeit aktuellsten, verfügbaren Werte. Aus Deutschland sind solche Informationen nicht erhältlich und wenn, werden sie aus dieser oder älteren Quellen zitiert.

In den Betrachtungen werde ich zwar verschiedene Mengen für mögliche Futtermittel angeben, die aber am Ende gar nicht wirklich interessieren. Was ich vielmehr zeigen möchte ist, wie sich bestimmte Futtermittelarten (Wiese, Gemüse, Heu) in den Nährstoffen voneinander unterscheiden. Als Basis für den Vergleich benutze ich den empfohlenen Gehalt für die essentiellen Aminosäuren Methionin + Cystin (Met+Cys) von 5,5 g/kg Trockensubstanz eines Futters von Lowe, 2010. Als Rahmen soll ein Kaninchen mit 2,5-3,0 kg Körpergewicht dienen, welches am Tag ca. 120 g Trockensubstanz verzehren kann. Für dieses beträgt der tägliche Bedarf an Met+Cys = 0,72 g.

Szenario 1: Wiese

Wer sein Kaninchen mit frischen Wiesenpflanzen („Wiese“) wie Gräsern und Kräutern füttert, darf relativ sicher sein, dass die Bedarfswerte für die Erhaltung erfüllt werden. Das setzt voraus, dass vorwiegend junge, blattreiche Pflanzen in ausreichender Menge angeboten werden. Meine Empfehlung lautet, pro Tier eine Menge anzubieten, die seinem Körpergewicht entspricht. Diese würde dann dem entsprechen, was mit „ad libitum“ beschrieben wird. Eine Begründung für diese Menge wird später noch geliefert. Diese Nahrung entspricht dem natürlichen Futterspektrum von Wildkaninchen und erfüllt somit Anforderungen wie „artgerecht“, arttypisch“, „artgemäß“ oder „tiergerecht“. Die Wiese soll somit, neben den Bedarfswerten von Lowe, 2010) als Referenz für die weiteren Betrachtungen dienen.

In dem Diagramm habe ich links den Betrag der Kohlenhydrate dargestellt und rechts das, was die jeweiligen Kohlenhydrate verwertet bzw. abbaut und dem Körper zur Verfügung stellen kann (Enzyme, Bakterien).

Bild 1: Analysewerte für Wiese, in 120 g Trockensubstanz





Mit 120 g Trockensubstanz würde ein Kaninchen eine Gesamtmenge von frischer Wiese von 645 g aufnehmen. Damit würde es mit rund 0,84 g Met+Cys 17% über dem Bedarf liegen. Die aufgenommene Menge an löslichen Kohlenhydraten liegt mit 45% und der von Rohfett um 11% unter dem Bedarf. Warum das so ist, wird noch erläutert. Der Gehalt an verdaulicher Energie liegt mit 10% leicht über dem Bedarf.

Fazit: für eine Fütterung geeignet

Szenario 2: 50% Grünkohl + 50% Gemüse

Weil ja der Grünkohl so reich an Met+Cys ist, nehme ich ihn jetzt mit 50% (347 g) der Gesamtfuttermenge an. Für den Rest nehme ich jeweils 5% Äpfel (43 g), 5% Banane (31 g) sowie jeweils 10% (109 g) Mohrrüben, 10% (308 g) Salat und 10% (125 g) Brokkoli. Um die 120 g Trockensubstanz vollzumachen, fehlen jetzt noch 10% (13 g) Heu. Mit dieser Mischung von 120 g Trockensubstanz beträgt der Met+Cys-Gehalt 5,5 g, würde also genau den Bedarf erfüllen.

Bild 2: Das Ergebnis von Szenario 2: 50% Grünkohl + 50% Gemüse


Mit der Mischung müsste das Kaninchen eine Gesamtmenge frischen Futters von 975 g aufnehmen, also 34% mehr als mit Wiese, um den Bedarf von 5,5 g Met+Cys zu erreichen. Der Betrag an löslichen Kohlenhydraten (NFC) liegt dabei um das Dreifache höher als in Wiese und demgemäß ist auch der Energiegehalt mit 25% über dem Bedarf deutlich höher. Und das, obwohl auch der Rohfettgehalt um 50% niedriger als in Wiese liegt! Sie erinnern sich bestimmt, dass ich das Argument von Tierschutzerinnen als sinnfrei bezeichnet habe, dass Kaninchen mit Wiese fett werden würden, aber mit Gemüse nicht? Hier haben Sie den Grund für meine Feststellung.

Der Betrag an NDF (Lignin + Cellulose + Hemicellulose) liegt um 30% niedriger als die Empfehlung und in Kombination mit dem sehr hohen NFC Gehalt ergibt sich hier eine potentiell krankmachende Gefahr. 

Fazit: für eine Fütterung ungeeignet

Szenario 3. 80% Heu + 20% Grünkohl

Kennen Sie die Empfehlung von "80% Heu + 20% Gemüse"? Auch so eine segensreiche Erfindung des Tierschutzes (für den Halter). Schauen wir mal, was das bedeuten würde. Ich nehme als Ersatz für Gemüse den Grünkohl, weil der ja so viel Aminosäuren Met+Cys enthält (im Gegensatz zu Wurzelgemüse). 

Bild 3: Das Ergebnis von Szenario 3: 80% Heu + 20% Grünkohl



Wenn wir jetzt mal den rechten Balken nehmen und rüber zur Wiese schielen, scheint sich das Verhältnis der Rohnährstoffe etwas angeglichen zu haben. Aber, aber, aber ... leider kommt das Heu mit einem deutlichen Defizit an Aminosäuren daher, so dass Met+Cys mit einer solchen Mischung um 20% unter dem Bedarf liegen würde. Rohfett wäre mit fast 60% im Minus und Rohprotein mit knapp 50%. Der Energiebedarf wäre mit einem Defizit von 5% fast erreicht. Die gesamte Menge des frischen Futters, welches mit der Trockensubstanz von 120 g aufgenommen wird, würde mit 245 g deutlich unter der von Wiese mit 645 g liegen, was ebenfalls ein großer Nachteil wäre.

Fazit: für eine Fütterung ungeeignet


Szenario 4: 80% Heu + 20% Gemüse

Im Sommer gibt es ja keinen Grünkohl, also tauschen wir den Grünkohl gegen eine bunte Mischung aus verschiedenen Gemüse- und Obstsorten aus.

Bild 4: Das Ergebnis von Szenario 3: 80% Heu + 20% Gemüse & Obst


Die Verteilung der Rohnährstoffe sieht fast gleich wie in 80% Heu + 20% Grünkohl aus, nur ist der Anteil der essentiellen Aminosäuren noch einmal gesunken und  beträgt jetzt nur noch die Hälfte der Empfehlung - also -50%! Vergessen wir also lieber dieses Horrorszenario ganz schnell ...

Fazit: für eine Fütterung ungeeignet

Szenario 5: 80% Wiese + 20% Gemüse

Wie wäre es denn, wenn wir aber das Heu gegen frische Wiese austauschen würden? Also nur "frisch" gegen "getrocknet" austauschen? Von bekannten Tierärzten wird ja häufig geschrieben, dass man "Heu und/oder frische Wiese" füttern könnte, als wäre es das Gleiche.

Bild 5: Das Ergebnis von Szenario 3: 80% Wiese + 20% Gemüse & Obst


Der einzige Mangel wären jetzt die NFC mit -20% gegenüber der Empfehlung, was aber nicht weiter dramatisch ist. Mit Met+Cys gibt fast eine Punktlandung (+3%). Naja, und die Verdauliche Energie ist mit +15% immer noch höher als mit "nur" Wiese, was ja aber nur eine weitere Bestätigung dafür ist, dass Kaninchen nicht mit Wiese, sondern eher mit Gemüse zunehmen würden. Die gesamte, zu fressende Futtermenge würde auf Grund des hohen Wassergehaltes des Gemüses aber rund 888 g betragen - es ist die Frage, ob ältere Tiere diese Mengen schaffen können.

Fazit: nur bedingt geeignet

Szenario 6: 100g Frischfutter/kg Körpergewicht

Die letzte Mode, die ich im Internet mitbekommen habe, hieß "100 g Frischfutter pro kg Körpergewicht Kaninchen". Diese wurde sogar von A. Ewringmann 2010 in ihrem Buch "Leitsymptome beim Kaninchen" in ihre Fütterungsempfehlung eingebaut. Wer auch immer sich diese Absurdität ausgedacht hat, wird sich damit wohl sehr geschmeichelt fühlen. Wie auch immer, wir schauen uns mal an, was das für die Nährstoffe bedeutet. Dr. Ewringmann "erlaubt" noch 1 Esslöffel Pellets/kg Körpergewicht, was für unser 2,5kg Tier rund 25g bedeuten würde. Das Problem ist, dass für Pellets nur Werte für Rohnährstoffe existieren - über Kohlenhydrate geben Futtermittelhersteller keine Auskunft (aus gutem Grund). Also habe ich für meine Betrachtung den Nährstoffgehalt von Pellets mit den Empfehlungen zum Bedarf gleichgesetzt, also idealisiert.

Bild 5: Das Ergebnis von Szenario 6: 100g/kg Körpergewicht Frischfutter + Heu + Pellets


Die größte Übereinstimmung in den Rohnährstoffen besteht - logischerweise - mit dem Szenario 3 "80% Heu + 20% Grünkohl". Ich habe ja den Grünkohl nur durch Gemüse und etwas Pellets ersetzt. Wer die Szenarien aufmerksam verfolgt verfolgt hat, kann sich jetzt auch schon ausmalen, was daraus resultiert:  der Gehalt an Met+Cys wird noch geringer, so dass das Defizit jetzt 35% beträgt. Rohfett liegt um 60% unter dem Bedarf und Rohprotein um 45%. Die gesamte Futtermenge wäre um rund 80% niedriger als mit Wiese - sie beträgt nur 366 g.

Fazit: für eine Fütterung ungeeignet.

Zusammenfassung

Ich denke, damit ist ein großer Teil der Szenarien abgedeckt, der Hauskaninchen heute zugemutet wird und auch so empfohlen wird. Einigen werden wohl mittlerweile die Augen flimmern von den bunten Diagrammen. Wissen Sie noch, wie sich die verschiedenen Szenarien zahlenmäßig unterscheiden? Natürlich nicht - das brauchen Sie auch nicht. Es geht um prinzipielle Zusammenhänge und ob die jetzt jweils um einige Gramm abweichen spielt überhaupt keine Rolle.

  1. Evolutionär bedingt ist setzt sich die Nahrung des Kaninchens aus frischen Wiesenpflanzen zusammen. Dies verfügen über die Energie und alle Nährstoffe in einer Menge und Zusammensetzung, die seine Bedürfnisse befriedigt. Anderslautende Argumente der Futtermittelindustrie und deren Lobbyisten beziehen sich in der Regel auf "Leistungen", die von Kaninchen erwartet werden und nur durch Konzentrat- bzw. Leistungsfuttermittel erzielt werden können. Dabei geht es hauptsächlich um das Erreichen eines Schlachtgewichtes in kurzer Zeit und die Fortpflanzungsleistungen.
  2. Gemüse ist generell arm an essentiellen, schwefelhaltigen Aminosäuren Methionin und Cystein. Vor allem Wurzelgemüse verfügt über einen hohen Anteil an  Nichtfaser-Kohlenhydraten (NFC), weshalb es sehr energiereich ist. Dafür müssen allerdings große Mengen aufgenommen werden, weil es sehr wasserhaltig ist. Der Gehalt an schwer- und unverdaulichen Kohlenhydraten ist dagegen sehr gering.
  3. Grünkohl verfügt zwar über einen vergleichsweise hohen Methionin-/Cystingehalt, aber wie Gemüse auch nur über wenig unverdauliche, aber sehr viel leicht und komplett verdauliche Nichtfaser-Kohlenhydrate (NFC). 
  4. Heu als getrocknete Version fon frischen Pflanzen hat nährstoffmäßig nur noch wenig mit der Ursprungsform zu tun, weil es ernte- und lagerungsbedingt zu hohen Verlusten an wasserlöslichen Substanzen wie Amino- und Fettsäuren sowie Vitaminen kommt. Dafür ist der Anteil schwer- und unverdaulicher Kohlenhydrate relativ hoch.
  5. Sobald man anfängt, die arttypische Nahrung "Wiese" durch Alternativen wie Gemüse, Kohl oder Heu zu ersetzen, ergeben sich bestimmte Defizite oder Überangebote an Nährstoffen, die sich schädlich auf die Gesundheit auswirken können
Unter dem jeweiligen Szenario habe ich als Fazit geschrieben, ob es (aus meiner Sicht) für eine Fütterung geeignet ist oder nicht. Damit ist eine langfristige bzw. dauerhafte Fütterung gemeint. Wenn ein Kaninchen für eine gewisse Zeit (ca. 6 - 12 Wochen) nicht optimal mit allen Nährstoffen versorgt wird, fällt es aber deswegen nicht gleich am ersten Tag tot um. Schäden, die aus der Fütterung resultieren, sind in Bezug auf Nährstoffe wie Proteine, Fette und Kohlenhydrate erst nach länngerer Zeizt sichtbar und man braucht entsprechend lange, um sie wieder zu korrigieren. Für strukturierte, Faser-Kohlenhydrate ("Rohfaser") sieht das schon etwas anders aus. Diese beeinflussen, neben der Versorgung der Bakterien im Darm, auch den Kauvorgang, also den Zahnabrieb und die Zerkleinerung der Nahrung. Die ist wichtig, damit Verdauungsenzyme wie z. B. Amylase effektiv wirksam werden können.

Ich komme noch einmal zurück auf den ersten Teil, in dem ich mich gefragt hatte, was eigentlich diese merkwürdigen Mengenangaben wie "wenig", "nur selten" usw. bei alternativen Futtermitteln zu bedeuten haben. Liebe Leser, Sie werden mir jetzt sicher folgen können, wenn ich sage, dass die absolut sinnfrei sind. Ob ich etwas mit einem Mangel von z. B. 20% nur wenig, selten oder viel und oft füttere, ist völlig egal - der Mangel von 20% bleibt. Wenn man dem Kaninchen z. B. einen Sack Möhren, einen Sack Brokkoli, einen Sack Gurken und einen Sack Heu hinstellt, also alles "ad libitum" anbietet, wird es davon so viel fressen, wie es eben schafft. Die Aufnahmemenge wird durch den Energiegehalt oder die Masse begrenzt (in meinem Beispiel 120 g TS oder ca. 720 g uS). Trotzdem wird es auf die Dauer einen Mangel an den hier beschriebenen Aminosäuren erleiden.

Kaninchen sind in der Lage, das Aminosäuremuster in der Nahrung zu erkennen und die Aufnahme entsprechend zu regulieren. Da in Gemüse und Heu (als Beispiele) die schwefelhaltigen Aminosäuren mit zu geringen Gehalten vorliegen, nutzt ihnen diese Fähigkeit aber nicht sehr viel. Dieses Prinzip wurde vor einiger Zeit von einigen gründlich missverstanden und so wurde aus "ad libitum" ein "Konzept" erstellt, welches den Kaninchen schaden kann. Liebe Leser, hüten Sie sich bitte vor irgendwelchen "Konzepten" in der Tierernährung. Sie dienen oft nur der Profilierung bzw. Selbstdarstellung des Erstellers, sind aber für Kaninchen eher Müll. Ich habe seinerzeit zwar gegen dieses "Konzept" angeschrieben, aber meine Reichweite und Überzeugungskraft reichten wohl nicht, diesem Unsinn von vornherein einen Riegel vorzuschieben.

Wie auch immer - wahrscheinlich wird einigen Lesern aufgefallen sein, dass ich für manche Gehalte bei Wiese geschrieben hatte, die wären nicht so dramatisch, aber bei Gemüse schon. Sie denken jetzt sicher: "Ha, Rühle der Schlawinerich! Der verharmlost oder verschweigt doch etwas!". Natürlich nicht, aber manche Dinge lassen sich nur peu à peu erklären. Was ich bisher immer elegant umschifft habe, sind die "Kohlenhydrate". In dem ersten Diagramm hatte ich rechts neben den Balken "Enzyme" und "Bakterien" neben den jeweiligen Kohlenhydratgruppen angegeben. Darum wird es im nächsten Beitrag gehen. Bleiben Sie also schön neugierig und interessiert ...


Quellen:
BVL. 2013. Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit. Amtliche Futtermittelüberwachung. [Online] BVL, 2013. [Zitat vom: 23. 09 2013.] http://www.bvl.bund.de/DE/02_Futtermittel/01_Aufgaben/02_Amt_Futtermittelueberwachung/fm_ueberwachung_node.html.
Ewringmann, A. 2010. Leitsymptome beim Kaninchen: diagnostischer Leitfaden und Therapie. Stuttgart : Enke, 2010. ISBN 978-3-8304-1090-4.
Lowe, J. A. 2010. Pet Rabbit Feeding and Nutrition. [Hrsg.] C. de Blas und J. Wiseman. Nutrition of the Rabbit. s.l. : CAB International

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